Seit rund zehn Jahren findet in der Turbine Giswil im Herbst ein Performance-Anlass statt, der nicht nur von den beteiligten Performer/innen, sondern auch von der landschaftlichen und architektonischen Kulisse geprägt wird. Auch dieses Jahr wurde wieder ein spannendes Programm präsentiert. Irene Müller Umso schwerer fiel die Auswahl einer einzelnen Position an diesem Tag, der mit einem Spaziergang vom Bahnhof entlang der Felder zur Turbinenhalle begann, auf dem bereits die ersten Performances stattfanden. Trotzdem: Es war die Performance von Julia Geröcs, die sich in besonderem Masse in der Erinnerung eingenistet und wohl auch verselbständigt hat. Ausschlaggebend waren nebst der medialen Vertrautheit mit einer sprachbasierten Arbeit unerwartete Details.
Da ist zum einen Julias Stimme, die in ihrer weichen, melodischen Nuancierung die polyphone Narration ihrer Performance ‹Das Exchange Programm› vorantreibt. Eine Frauengruppe auf interkulturellem Austausch, Motivationen und Erfahrungen, Ressentiments und Gruppendynamik. Mit prägnanter Artikulation, fein modulierten Stimmlagen und Wechseln in der Diktion differenziert Julia die ‹Sprechenden› und lässt bei jedem ‹Rollenwechsel› einen konkreten Ort sprachlicher Charakterisierung entstehen. Ihre Hände vollziehen elegante Volten, zerhacken die Luft, schweifen aus, verharren, präsentieren. Die Sprache wird von der Gestik skandiert, zuweilen auch konterkariert. Zusammen mit den Bewegungen und Handlungen, bei denen sich Pose und tänzerische Leichtigkeit abwechseln, entwickelt sich eine zweite, leibliche Narration. Auch sie behauptet ihre Eigenständigkeit, wird jedoch konsequent von der Stimme, diesem schwingenden Instrument, mit der verbalen Erzählspur verknüpft.
Das andere Souvenir von dieser Performance ist die Farbe Gelb: die gelbe Kreide, mit der Julia auf die Tafel am Boden zeichnet, vor allem aber ihre kükengelben Socken. Wie leuchtende Pings zeigen sie Julias Standort im Raum an, geben Körper und Stimme eine Verankerung am Boden, formen ein wolliges Nest unter den gefalteten Beinen, ziehen Leuchtstreifen hinter den Tanzschritten nach. Immer sind sie dort, wo auch die Stimme ist, wo diese ihren Ausgang, ihren Bewegungsimpuls nimmt: fröhliche Trabanten komplexer Zusammenhänge, verlässliche Gefährten vielschichtiger Wahrnehmungen. Während der akustische Radar auf konzentrierten Empfang geschaltet ist, kehrt das Auge immer wieder zu den gelb bestrumpften Füssen zurück. Der Blick erlaubt sich kurze Pausen, spürt einfach den gelben Socken nach, vertraut sich ihnen an – als eine Form der Vergewisserung, beim Erleben dieses facettenreichen Gewebes aus Narrationen und Sprache, Verkörperungen und Bildern dazwischen auch einfach ganz terre-à-terre zu sein.
Irene Müller, Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin und Autorin, lebt in Zürich. irene.mueller1@gmx.ch
9 www.performanceart.ch
Erstpublikation des Textes im Kunstbulletin 12/2015, Performance im Blickfeld.