Eine Bemerkung zum Verhältnis zwischen Performancekünstler_innen und Publikum
Vergangenes Wochenende, als Zuschauerin beim Performancefestival in Giswil, ist mir etwas klarer geworden. Neu ist es vielleicht nicht, aber neu in der Deutlichkeit für mich. Jetzt habe ich Freude zu versuchen, es zu formulieren.
Es ist, dass beim Zusehen zwischen mir und der Performance eine Art von liebevolle Beziehung entstehen muss. Gelingt sie zwischen beiden Seiten nicht, so kommt nichts bei mir an. Das hat noch gar nichts damit zu tun, ob ich die Performance spannend finde oder nicht. Es ist erst die Vorbedingung, sie überhaupt voll wahrzunehmen. Als Kunst wahrzunehmen. Das mit der liebevollen Beziehung muss auch gar nicht heiss und heftig sein, es kann ganz fein und unspektakulär bleiben. Eigentlich ist es wie eine Ebene, eine Frequenz, auf der ich mich als Zuseherin einfinde – und hier wohl auch die Kunstschaffenden treffe. Diese Frequenz oder Ebene hat eine andere Logik als jene, mit der wir im Alltag meist in der Welt herumlaufen.
Ein Programmpunkt in Giswil war eine Vorführung in einem hängenden Reifen: ein geschickter und sehr geschmeidiger Bewegungsfluss. Zur Einleitung erzählte die Akrobatin, wieviel hartes Training und Vorbereitung für sie nötig gewesen war, und dass sie nun dafür einstehen und in ihrer Leistung gesehen und anerkannt werden wolle. So zumindest habe ich ihre Worte in Erinnerung und auch, dass sie es nicht ironisch sagte, sondern scheinbar versuchen wollte, ehrlich zu sein. Vielleicht meinte sie sogar, ehrlicher zu sein als andere Performerinnen, die an diesem Tag etwas zeigten. Mich hat das sehr irritiert, und noch mehr irritiert, dass ich gar nicht wusste, woher mein Widerstand kam. Jedenfalls war er da und ich hatte gar keine Lust dabei Publikum zu sein. Mehr aus Bequemlichkeit lief ich nicht weg, und was ich in meinem Widerstand beobachtete war einfach ein sehr beweglicher Körper, der sich bis in die Zehenspitzen hinein mit einem Reifen abmühte. Möglichst elegant.
Eigentlich will ich ja gar nicht so böse sein, deshalb hat mich das nicht in Ruhe gelassen bis ich zu folgendem Gedanken kam: Die Ökonomie einer liebevollen Beziehung ist eine nicht-Ökonomie, ihre Arithmetik eine nicht-Arithmetik, ihre Logik eine ganz eigene Art von Rationalität. Rechnen geht hier nicht (hartes Training gegen Anerkennung…), Schulden eintreiben (für Geleistetes) geht nicht, es geht einfach um Schenken: Um vermehrende Multiplikation durch grosszügiges (Ver)ausgeben und um eine Offenheit, die durch materielles Kalkül zerstört werden kann. Es geht um Berührung, die durch Verletzbarkeit ermöglicht wird. Aus privaten Liebesbeziehungen, gelingend oder nicht gelingend, mag man das kennen, aber nun wurde mir klar, in welch grossem Mass dies auch für die Beziehung zu Kunst gilt: Dass Performer_in und Zuschauer_in Kunst nur dann hervorbringen, gemeinsam hervorbringen, wenn sie auf einer solchen Ebene in Beziehung treten.
Interessant scheint mir, dass beide Seiten, Zuschauer_in und Performer_in dabei unterschiedlich viel riskieren. Vielleicht ist dies ein Unterschied zu einer privaten Liebesbeziehung. Denn hier sind es die Performer_innen, die zuerst geben ohne zu fordern, die zuerst das Risiko eingehen, nicht auf dieser Ebene von Offenheit und in dieser (nicht-)Ökonomie gesehen zu werden. «Risiko», weil jeder Blick aus einer anderen Ebene ignorant und verletzend wäre.
Wenn es stimmt, was ich mir überlege, ist es eine seltsame Ironie, dass die Reifenakrobatin in Giswil vor lauter Mutig-Sein-Wollen nicht mehr in der Lage war, das Risiko der Kunst einzugehen. Und wenn ich mir das selbst alles schneller überlegt hätte, hätte ich nicht so viel Widerstand aufbauen müssen, hätte sie zwar noch nicht in der Kunst begegnet, aber vielleicht ein bisschen im Mensch sein.
→ siehe auch Text von Romy Rüegger und Sibylle Omlin über dieselbe Performance