sibylle Omlin:Saga in der Performance-Kunst
Sibylle Omlin schreibt im Auftrag von Revolving Histories über die Events zum Thema SAGA am Wochenende vom 09. – 12.06.2022 im Museum Tinguely Basel.
Die Ausstellung BANG BANG – translokale Performance Geschichte:n im Museum Tinguely in Basel versammelt zahlreiche Videos, Performance-Objekte, u.a. die eindrückliche Sammlung von Porte Rouge (Christoph Ranzenhofer & Joa Iselin), Bücher und Live-Performances. Ein Wechsel von Erzählung und Interview, Text und Performance, Bild und Text durchzieht die Räume im Erdgeschoss des Museums, führt die Besucher:innen in eine kleine Bibliothek und schliesslich in die Digitale See des Gesammelten in der virtuellen Welt.
Der Körper ist zentral im ausgestellten Material, ob er performt, nur eine Geste ausführt oder einfach nur spricht. Das künstlerische Medium der Performance geht vom Körper aus, von seiner Beschaffenheit, seiner nackten Haut oder seinem Kostüm, von seiner Stimme und Bewegung. Der Kopf teilt sich in Sprache mit oder auch im Schweigen, im Lachen oder im Weinen. Die lebendigen Elemente der Performance nehmen die Besucher:innen in ihren Bann, lassen Eindrücke oder auch Fragen zurück.
An der Konferenz Revolving Documents#1: Narrations of the Beginnings of Performance Art, organisiert von der Hochschule für Kunst und Gestaltung Luzern HSLU in Zusammenarbeit mit ihren Partnern – die HSLU iniziiert seit 2010 verschiedene Forschungsprojekte zu Performance und Oral History in der jüngeren Kunstgeschichtsschreibung in der Schweiz – kreiste um dieses Wesen des lebendigen Körpers: das historische Archiv soll ein Archiv in Bewegung sein, fordern Künstler:innen und Geschichtsschreiber:innen. Das Archiv SAPA in Bern und der Performance-Archivar Michael Hiltbrunner erzählten, wie das gehen kann. Der Körper ist im Video, auf der Fotografie oder in virtuellen Medien vorhanden. Objekte, Kostüme und weiteres Material bleiben wie bei einer Installation im Fundus. Andere Quellen wie Interview, Kunstkritik, Radiosendung oder Webseite nehmen Polyphonie, Stimme und Bewegung mit.
Körper, Raum und Medium in der Saga
Am Wochenende vom 11./12. Juni 2022 drehten sich die Live-Performances von BANG BANG um den Begriff Saga.
Saga bedeutet Aussage, Mitteilung und Bericht, und damit Geschichte (Erzählung) im weitesten Sinne. Ihren Ursprung hat die Saga in der mündlichen Überlieferung von Götterund Heldensagen aus Nordeuropa, tradiert wurden sie schriftlich. Obwohl die Verfasser der Saga anonym sind, handelt es sich bei der Textform nicht um Volksdichtung, sondern um eine künstlerisch anspruchsvolle Literatur und trug massgeblich zur Identitätsbildung im Norden Europas bei.
Die Sagas thematisieren Konflikte mit dramatischem, oft tragischem Ausgang. Sie erzählen von Landnahme, Streitigkeiten um Land, von Rechtsbrüchen und Rechtsschlichtung, Gesetz und Ordnungsvorstellungen, von Ächtung und Verbannung und von Fehden um Land, Familienehre und Frauen. Sie fokussieren auf Lebensgeschichten bedeutender Männer und Frauen und überliefern damit wertvolle Details aus Ethik und Weltanschauung. Der Stil der Sagas ist sachlich, beinahe naturalistisch, die Höhepunkte des Geschehens werden durch Dialoge markiert.
Die zwei Performerinnen Gisela Hochuli und Davide-Christelle Sanvee präsentierten uns zwei friedfertige performative Sagas aus der jüngeren Performance-Geschichte seit Manon und Yann Marussich bis heute. Es waren eindringliche und auch humorvolle Narrationen zu inspirierenden Performance-Künstler:innen der Schweiz der letzten 30 Jahre. Wenn wir denken, die Performance ist nur im Körper, sagt die Künstlerin: sie ist im Kopf. Wenn wir glauben, die Performance ist in der Lichterkette und in der Sprache, sagt die Künstlerin: sie ist in Raum und Zeit.
Die Performer Paul Maheke und Claudia Grimm /DARTS Collective erforschten den Ausstellungsraum. Paul Maheke liess die Aura des Ausstellungsraumes von einem Medium ausloten. Dieses öffnete das Bewusstsein für die darin befindliche Narration der Werke von Jean Tinguely, für das nahe Wasser des Rheins und für die Bäume im Park, für die Erfahrung der sich verändernden Aura. Claudia Grimm stellte in ihrer performativen Erzählung dar, dass Performance immer in Verbindung steht mit einem kollektiven Wissen und auch mit einem gemeinsamen Erfahren von Raum.
BANG BANG – vor allem das Material des ganzen Projekts im Tinguely-Museum beschwört es: In der Schweiz setzt diese Performance-Gesichtsschreibung die künstlerischen und kollektiven Aktionen nach 2006 fort: Performance Chronik Basel, Archiv Performativ und Performance Saga. Geschichte ist immer auch mündlich und kollektiv.
→ siehe auch Text von Ursula Scherrer über die Performance von Gisela Hochuli