sibylle omlin9 Direktorin ECAV (École cantonale d’art du Valais), Sierre
Performance-Berichte.
Es gab einmal die schöne Berufsbezeichnung Kulturberichterstattung. Als ehemalige Kunst-Journalistin bin ich es gewohnt, auf Ereignisse, Begegnungen in der Kultur und Kunsterlebnisse mit Sprache zu reagieren. Früher hat man den Beruf des Kunstkritikers oder Theaterkritikers dahingehend aufgefasst, dass ein künstlerisches Erlebnis, eine Theateraufführung, ein Buch oder ein Ausstellungsbesuch in wichtigen Teilen beschrieben, in groben Linien mit dem bereits bestehenden kulturellen Archiv verglichen und abschliessend in einem kurzen qualitativen Statement gewürdigt wurden.
Ein solches Vorgehen (Beschreiben, Berichten, Kontextualisieren, Bewerten) könnte auch für ein Performance-Ereignis in Betracht gezogen werden, wenn es denn um das Beschreiben von Performance für das Medien-Archiv, die Kulturkritik, das kulturelle Archiv geht.
Performances, die von ihrem Aufführungscharakter leben, fallen im medialen Umgang der Presse meist zwischen die Maschen, da Theaterkritiker meist schon zu viel Geschehen auf institutionellen Bühnen zu verfolgen haben, ebenso Kunstkritiker, die ihr Pensum an Ausstellungen in den Zeitungen oder elektronischen Medien unterzubringen haben. Eine Performance in der Kulturberichterstattung muss somit an einem wichtigen Festival stattfinden (Theaterspektakel, Belluard Festival, FAR, Les Urbaines in Lausanne), oder als performatives Ereignis auf einer institutionalisierten Bühne (Kaserne Basel, Theaterhaus Gessnerallee, Arsenic Lausanne). Kein Wunder, dass sich Performance-Künstlerinnen und Künstler, die in zahlreichen Kleinveranstaltungen in der Schweiz organisiert sind und über lokale Presseberichte nicht herausgelangen, sich überlegen, wie denn über Performance überhaupt zu schreiben sei. Und durch wen?In der Zwischenzeit hat die Performance-Szene Schweiz damit begonnen, selber über ihre Ereignisse zu berichten, in Blogs, auf Webseiten von Festivals oder Kunstschaffenden, in Fachmagazinen, und nicht zuletzt in Form von Performance-Projekten selber.
Vor ein paar Jahren hatten Andrea Saemann und Katrin Grögel im Rahmen von Performance Saga für das Bone Festival Bern 12/2008 die britische Schreibgruppe Open Dialogues (Mary Paterson, Theron Schmidt) eingeladen, das Festival in Form von offenene Dialogen (Open Dialogues) mit Texten zu begleiten. Die Praxis wurde im April 2009 in Basel weitergeführt. Das fand ich einen kreativen Ansatz. In diesen Texten, die ich in meinem Archiv gespeichert habe, lese ich immer wieder gerne. Es sind eine Art Gesprächsprotokolle, Zuschauerreaktionen, Reflexionen, Verknüpfungen mit der Performance-Geschichte. Sie vermitteln – auch noch nach Jahren – das Gefühl des Dabeiseins, den performativen Akt des Erlebens und Verarbeitens und Verortens.Eine Webseite einer Performance-Protagonistin, die ich mir immer wieder gerne ansehen, ist jene von Dorothea Rust, der Zürcher Performance-Künstlerin, die auf ihrer Webseite neben den eigenen Beschreibungen ihrer Performance-Arbeiten auch eine Auswahl von Texten publiziert hat. Mit ihr stehe ich in einem angeregten Mail- oder Gesprächsverhältnis. So entstehen immer wieder auch Textteile, die als Texte nach den Performances gelten können und noch nicht Berichte sind oder Berichterstattung. Aber knapp davor.
Für mich ist Frage des Schreibens nach Performances eng an die des Adressaten geknüpft. Wenn ich über Performance schreibe, für wen?
Es gibt einerseits eine Art öffentliches Interesse der Performance-Szene an öffentlicher Performance-Berichterstattung. In meiner Praxis gibt es aber auch ein anderes Schreiben über Performance-Kunst, das einen ganz anderen Adressaten findet. Ein Tagebuch beispielsweise, ein privater Briefwechsel, in dem ich immer wieder Erfahrungen mit Kunst, somit auch Performance-Kunst, niederschreibe. Spontan, unkorrigiert, unsystematisch, nicht im Sinne der Kunstberichterstattung oder Kunstkritik. Zudem korrespondiere ich mit Fachleuten, KollegInnen, KünstlerInnen über gesehene Performances, stehe mit ihnen im Austausch, weil ich mir nicht immer selber alles anschauen kann, weil ich in der Zwischenzeit den Beruf gewechselt habe und nicht mehr Kunstkritikerin für eine Tageszeitung bin.
Das wäre eine Arbeit, die mich reizen würde: solche halbprivaten und privaten Schreibweisen über Performance-Kunst archivieren und analysieren, vergleichen und dann von ihnen lernen, das Beste daraus ziehen und selber was beginnen, andere Menschen finden, die diese Anregung teilen und sich auch die (halbprivate) Schreibarbeit teilen.
Vielleicht wäre das eine Schreibweise zwischen privat und öffentlich, die Interviewform, das Gesprächsprotokoll, der Brief. Mit Gesprächsanlässen, die wir uns immer wieder selber schaffen. Ich denke, da sind wir alle schon mitten in der Arbeit drin. Ich bewerbe mich hiermit als korrespondierendes Mitglied von PANCH (Performance Art Netzwerk CH) und ApresPerf.ch.
Sibylle Omlin, Sierre 1.11.14
PS : Auch in der Kunstberichterstattung ist das Interview und der Dialog heute eine beliebte Form, um das monophone Sprechen eines Autors/Kritikers zu erweitern.Vgl. Dora Imhof, Sibylle Omlin (hg). Interview. Oral history in Kunstwissenschaft und Kunst, Silke Schreiber Verlag, München, 2010
Writing after Performance.
The development of unique and original voices in performance narration and performance critic extends the traditional notion of art critic or cultural journalism.Some performance artists started to work with language to describe their performance activities. In Switzerland for example: Performance Saga of Andrea Saeman and Katrin Grögel, San Keller’s performances like Show Show and Dorothea Rusts performance lectures and texts on her website www.dorothearust.ch which offers a chapter reports/texts to describe her performance work. The British blog Open Dialogues is a writing collaboration that produces writing on and as performance. It was founded in 2008 by Rachel Lois Clapham and Mary Paterson. On their website http://open-dialogues.blogspot.ch, they profile their collaborative work, including projects with UK and international artist/writer groups and performance festivals.
These examples of performance practise encourage an evolutionary sense of performance writing as a tool for reports, critique and projects, and embrace new collaborative ventures.
The texts in my personal collection of performance writings or writing after performances represent recordings of informants, abstracts, résumés, letters, mails or reports of performance. Departing from this text-centred perspective on performance art – derived from work in journalism, cultural history, the ethnography way of participant observation – the patterning of my personal archives reveals many forms of performance writing – between public and private. Thus to be further explored, I apply as corresponding member to PANCH (Performance Art Network CH) and ApresPerf.ch.
Sibylle Omlin, Sierre, 1.11.2014