sandy Cheung:Auftakt zur Sozialen Eleganz
Sandy Cheung schreibt im Auftrag von Revolving Histories über die Events zum Auftakt der Sozialen Eleganz am Wochenende vom 09. – 10.07.2022 im Museum Tinguely Basel.
Werte Leser:innen
Ich bin Sandy, Ende zwanzig und arbeite an meinem Master in Soziologie. Ich habe die Ehre eine Schreibzeugin für das Wochenende vom 9.-10. Juli über das Thema «Soziale Eleganz» zu sein. Ich finde diesen Begriff allein gesellschaftlich sehr geprägt. Was ist Eleganz für uns und was ist daran sozial? ‘Sozial’ kann bedeuten das Zusammenleben innerhalb einer Gesellschaft; sei es auf den öffentlichen Raum oder auf eine kleinere Gemeinschaft, wie Familie oder Freund:innen-Kreis bezogen. Der Mensch als ein soziales Wesen bezieht sich zu einem grossen Teil auf andere Gruppen, Gemeinschaften und Personen. Zugehörigkeit verspricht einerseits Nähe, Halt und Orientierung, bedeutet jedoch auch Kontroll- und Ausschlussmechanismen und (Ab-) Wertungen ausgesetzt zu sein. Hier, am Wochenende zum Thema «Soziale Eleganz», hat der Begriff ‘soziall’ eine allgemein geläufige Bedeutung und ist bezogen auf eine Struktur innerhalb einer Gesellschaft. Die ‘Eleganz’ kann auf das Erscheinungsbild bezogen sein, bspw. auf das Aussehen oder die Kleidung einer Person, oder auf das Verhalten, bspw. Bewegungen. Eleganz kann verschieden interpretiert werden, je nach Vorliebe der Individuen, die sie ausüben und/oder wahrnehmen. Deshalb war ich sehr gespannt, wie die Künstler:innen das Thema «Soziale Eleganz» aufgreifen, umsetzen und im Museum Tinguely präsentieren. Bevor ich über meine Erlebnisse im Museum Tinguely berichte, ist es wichtig zu wissen, aus welchem Blickwinkel ich die Performances betrachte.
Was verstehe ich unter dem Begriff «Performance Art»? Ist Performance eine Kunstform oder sogar ein Kunstwerk? Die Künstler:innen sind ja Teil ihres Werkes, dennoch als Personen sollten sie nicht als Objekt zum Werk dargestellt oder verstanden werden. «Performance» ist das englische Wort für ‘Aufführung’, ‘Leistung’, und ‘Verhalten’. Somit verstehe ich, dass Performance etwas Theatralisches an sich haben könnte. Etwas Shakespeare-mässiges? Vielleicht. Dank eines Gesprächs mit Maricruz Peñaloza, eine der Performerinnen an diesem Wochenende, konnte ich ein besseres Verständnis zu diesem Begriff aufbauen. Performance ist eine situationsbezogene und handlungsbetonte Kunstform, in welcher die Performenden etwas aufführen und sich dadurch ausdrücken. Die Performance kann stark mit dem Alltagsleben und deren Tätigkeiten verbunden sein. Da Performance eine zeitlich und örtlich gebundene Tätigkeit ist, ist es bei dieser Kunstform auch besonders schwierig, Künstler:in und Werk voneinander zu trennen. Für Maricruz ist die Glaubwürdigkeit der Performer:in wichtig. Gute Performer:innen sollen authentisch sein, denn sie sollen nicht wie beim Theater eine Rolle spielen. Ziel ist nicht dem Publikum etwas vorzuspielen, sondern so Maricruz «man ist noch sich selbst». Nachdem ich nun also mein Verständnis von Performance Art erläutert habe, können wir uns den Performances des vergangenen Wochenendes widmen. Schliesslich ist das der Fokus dieses Textes.
Nach einer kurzen Vorstellung und dem Kennenlernen der Räumlichkeiten in und um das Museum, genoss ich meine erste Performance «Collaborating Waters» von Sarina Scheidegger. Im Ausstellungsraum hingen fünf verschiedengrosse Stoffe an der Wand, welche mich an beschädigte Fallschirme erinnerten. Auf dem Boden ausgebreitet war ein blauer Patchwork-Teppich, der fast den ganzen Raum füllte. Drei kleine Haufen von Steinen lagen in drei verschiedenen Ecken. Die Besucherinnen mussten ihre Schuhe beim Betreten des Raumes ausziehen und sie liefen sorgfältig um den zusammengehefteten Teppich herum. Ein paar sassen an der Wand und warteten gespannt auf den Auftritt der Performenden, ein paar kamen als kleine Gruppe und führten leise Gespräche unter sich. Als drei Künstlerinnen, gekleidet in weisse Bodys, hineinspazierten und schweigend zu den hängenden Stoffen gingen, versiegten alle Unterhaltungen. Während die drei Performerinnen sich die Zeit nahmen, um ganz still die Stoffbahnen kleidartig um sich zu drapieren, horchte das Publikum. Die Performance war sehr poetisch. Es wurde viel mit der Stimme gespielt, bspw. wurden kurze Vokale gesprochen, es wurde gesäuselt und gebrummt – eine Imitation der Geräusche, die Gewässer und Stürme von sich geben. Es wurde gesprochen und einstimmig oder in wundervollen Harmonien gesungen. Die Stimmen variierten von der kompletten Stille bis hin zu starken gewitterähnlichen Klängen, die den Ausstellungsraum füllten, dennoch waren sie nie gellend. Die Bewegungen und Ausdrucksformen der Performenden waren wie Wasser sehr fluide, zart und elegant. Auch während der intensiveren Szenen waren die Bewegungen nie grob oder eckig.
Die Performance und Ausstellung von Sarina Scheidegger war so betörend, dass ich leider den Beginn von «The Gathering» verpasste. Ich konnte leider das Eintreffen der Karawane nicht miterleben, die über mehrere Stunden entlang des Rheinufers performt hatte. Dafür konnte ich später im Solitude Park deren zwölf Solo-Performances von «The Gathering», einer Arbeitsgruppe von PANCH – dem Performance Art Netzwerk CH zuschauen. Die Performances waren verschieden lang und jede:r Performer:in hatte eine eigene Interpretation von «Performance Art» und strahlte im eigenen Stil und Farbe. Die Performances variierten von Rede halten, zu Flöte spielen, zu stumm Gegenstände hinter sich her schleifen lassen, zum Stimmen des Publikums aufnehmen und bis hin zu einer Person, die während ihrer Performance sogar in den Rhein sprang. Bei den zwölf kurzen Performances wurde viel gelacht, stutzig gemacht und zwischen den Performenden und dem Publikum kam es immer wieder zu spontanen Interaktionen. Mir wurde gesagt, dass ein paar Performer:innen sich erst bei der Karawane kennengelernt hatten und sich daraufhin spontan zusammentaten, um etwas aufzuführen. Ersichtlich war, dass sie sich an diesem Nachmittag sehr gut verstanden, und die Spontaneität fiel nicht auf. Sie wirkten, als gehörten sie ganz selbstverständlich zueinander. Es war ein schöner Abschluss für die Samstagnacht.
Der performative Auftakt von Julie von Wegen am Tag darauf begann mit einem Film aus dem Kunst-Archiv Bernhard Huwiler. Der Film zeigte, wie Menschen orangefarbige Wasserkannen füllten und das Wasser danach vom Dach ausleerten. Das ausgeleerte Wasser floss schliesslich zu einem grösseren Gewässer. Am Ende schien das Wasser durch eine Kanalisation zu fliessen. Der Film endete mit einem Licht am Ende Kanalisation, welches den Ausgang visualisierte. Das Wasser war das wiederkehrende Motiv, denn von Wegen übernahm es und überraschte die Zuschauenden, indem sie auf der Bühne vis-à-vis der Leinwand auftrat. Da das Publikum sich zwischen der Leinwand und der Bühne befand, drehten sich fast alle um 180°, um der Performerin ihre Aufmerksamkeit schenken zu können. «Keine Sorge, niemand ist nass geworden». Von Wegen beschrieb in ihrem Auftakt die verschiedenen Zustände von Wasser, dessen Klänge und Bewegungen. Wie im Film dargestellt, war das Wasser im Fokus. Es wurde als sehr dynamisch porträtiert, immer in Bewegung und trotzdem wurde niemand nass. Die Performerin beendete ihren Auftritt, indem sie ein paar Schlucke aus ihrer Glasflasche nahm. Dann kippte sie die Flasche um, stoppte es aber mit ihren Notizpapieren, ging aus dem Museum und leerte ihre Flasche dann vor dem Brunnen aus.
Beim Talk «Kontextwaende» vom Mike Hentz serenierte er das Publikum zuerst mit musikalischem Vorspiel. Mit einer sanften, asiatischen und instrumentalen Hintergrundmusik performte er für das Publikum seine Rede. Als Zuschauende sahen wir nicht viel von seinem Tisch, aber mit Hilfe eines Scanners und eines Projektors wurden Bilder, Fotos und ausgeschnittene Stichwörter an die Wand projiziert. Wie bei einer PowerPoint-Präsentation ging Hentz einzeln die Seiten durch und gab Kommentare zu jedem Bild. Er stellte viele offene Fragen Was ist «free speech»? Darf man noch über Corona reden? Sind die Gedanken frei? Was sind die Werte unserer Gesellschaft, und für wen sind sie? Wie kommen sie zum Ausdruck und wer profitiert davon? Während er diese Frage stellte, warf er lieblos die Blätter vom Tisch herunter. Diese einfache Bewegung hatte wegen der schwierigen und auch politischen Fragestellungen umso mehr Wirkung auf das Publikum. Fragestellungen, die jede:r von uns sich selbst stellen sollte und nicht mit einfachen Bewegungen wegzuschieben sind.
Zum Schluss performte Boris Nieslony sein Werk «ASAP – Wer solche Feinde hat». Es war eindrücklich, wieviel Recherchearbeit Nieslony über die Geschichte der Performance Art geleistet und den «Kontext in der Performance Art» als ein Diagramm dargestellt hat. Ihm war es wichtig, wie man Performances archivieren kann; vor allem, da sie live geschehen, aber durch Videos häufig nicht fassbar sind. Er setzt sich mit dem Kontext auseinander, in welchem performt wird, und erklärte dem Publikum, wie man sich das Ganze als Sachverhalte vorstellen muss. Um Performance-Kunst verstehen zu können, was könnte man als Referenz nehmen? War sie experimentell? Situativ? Ein offenes System? Wie kann der Begriff Performance erklärt werden und wie wird er missverstanden? Nach der Ethymologie war der Hauptbegriff «Performance» auf Englisch nur linguistisch zu verstehen und im deutschen Sprachraum gab es das Wort lange gar nicht. Im 12. Jahrhundert bedeutete «good performance» auf Deutsch «eine gut gemachte Rede». Erst im 15. Jahrhundert wurde ‘die gute Rede’ zum theatralischen Verständnis umgemünzt. In den 1950ern kam die Bedeutung des künstlerischen hinzu. Erst seit damals gibt es ‘Performance ART’ (auf Deutsch Kunst) als Genre in der visuellen Kunst. Was müsste heutzutage noch in Betracht gezogen werden? Während Nieslony performte, stand er inmitten seines Diagrammes, welches in der Mitte absichtlich leergelassen wurde. Er war umschlossen von Begriffen, Kategorien und Wortsammlungen zum Thema Performance Art, welche an die Form eines Auges erinnert. Sechs bis sieben Jahre brauchte Nieslony, um dieses riesige Diagramm im Jahr 2003 endlich fertig zu stellen. Er lachte darüber, dass dies eine «nutzlose Arbeit» sein könnte, da mit jeder vergangenen Zeit, die Bedeutung von Performance Art sich verändere, und der Begriff somit im heutigen Kontext wieder neue Bedeutungsverschiebungen durchwandere. Dennoch ist es seine Absicht, mit seinem Diagramm einen Service für all jene zur Verfügung zu stellen, die es als Hilfe und Visualisierung nützlich finden oder den Begriff erweitern möchten.
Meine Erfahrung an diesem Wochenende war insgesamt sehr positiv. Die Performances waren interessant, divers, elegant und regten zum Nachdenken an. Mir gefiel die Interaktion zwischen dem Publikum und den Performenden, die etwa bei Theaterstücken nicht so häufig vorkommt. Klar können die Zuschauenden bei Theaterstücken emotional werden. Bei den Performances sind die Emotionen jedoch spürbarer, da die Grenze zwischen dem Aufgeführten, den Aufführenden und den Zuschauenden verschwimmt. Die Performer:innen kreieren zum Teil eine Bindung zum Publikum, indem sie ihre Zuschauenden während ihren Performances inkludieren und zur Teilnahme einladen. Was für mich ebenfalls neuartig war, war die Möglichkeit mit den Performer:innen gleich nach den Performances ins Gespräch zu kommen und sich auszutauschen. Sie waren alle freundlich und offen dafür, sich mit allen Interessierten zu unterhalten. Diese Interaktionen waren für mich sehr wertvoll.