Margarit von Büren: Eisprung revisited
Margarit von Büren schreibt auf Wunsch von Pascale Grau über deren Lecture-Performance «Eisprung revisited» am Sonntag 21.2.2016, im Rahmen von Heimspiel im Kunstmuseum St.Gallen.
Pascale Grau greift in ihrer Lecture-Performance die «Geschichte» ihrer künstlerischen Arbeit «Eisprung» wieder auf. Sie hat in St. Gallen eine Bühnensituation geschaffen: Mit einer grossen Leinwand, einem Tisch mit verschiedenen Artefakten und Requisiten und einem Laptop auf einem Holzgestell. Auf der Leinwand ist der Titel zu lesen. Auf der Seite hängt ein Kleiderbügel an einer Kette von der Decke. Aus dem Off sind Stimmen zu hören. Eine spricht: «Auf Eier tanzen und mit Frauen umgehen muss gelernt sein sieben Jahre und ein Tag».
Sie tritt schwarz gekleidet und darüber das Kostüm mit rund 350 ausgeblasenen und an einem Badeanzug und einer Kappe angenähten Hühnereiern vor das Publikum. Die Eier erzeugen bei jedem Schritt und jeder Bewegung ein «holziges», hohles Geräusch. Sie erzählt, wie dieses Kleid vor 23 Jahren für einen Super-8-Film (der Originalfilm ist verschollen) entstanden ist, und über die darauf folgenden Performances, die sie an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Kontexten aufführte. Pascale Grau spricht über ein Wandbild aus den 1930er Jahren, welches sie anfangs der 90er Jahre inspirierte und aus ihrer Sicht «die naturhafte Frau» symbolisiert. Das Eierkostüm sieht sie als ein konstitutives Element für die darauf folgenden sechs Performances während der letzten zwanzig Jahre unter dem Titel «Eisprung». Die Performance beinhaltet zwei örtlich getrennte Teile, wobei der Sprung ins Wasser – in einen Brunnen oder in ein Bassin – vorausging. Im nachfolgenden zweiten Teil rezitierte sie jeweils Texte, sang Lieder und nahm Bezug auf die Tatsache, dass weitere Jahre vergangen waren und sie älter geworden sei. Sie zieht das Kostüm vorsichtig aus und hängt es an den Kleiderbügel, die Kappe setzt sie auf eine Kugel.
Beim performativen Konzept geht es Pascale Grau darum, die Spuren der weiblichen Energie zu visualisieren und sie versteht das Kostüm als eine visuelle und haptische Transformation. In der Lecture zieht sie die Parallele zur weiblichen Fruchtbarkeit und der Eizelle, wobei der Körper wie Grau erzählt, ca. 400 Eisprünge produziert, die während des fruchtbaren Lebenszyklus der Frau potenziell zur Verfügung stehen. Dies ist die offensichtliche Repräsentation, wobei die Aktion noch weiteres impliziert. Ihr Sprung ins kalte Wasser eines Brunnens in Basel im Jahr 1998 demonstrierte die zerstörerische Kraft des Akts, bei dem durch den Aufprall Eier zerbrachen oder sich vom Kostüm lösten. Die Performance huldigt als Metapher damit keineswegs der weiblichen Fruchtbarkeit, sondern stellt die Vergänglichkeit und Unmöglichkeit einer ständigen Reproduktion zur Diskussion. Der repräsentationskritische Ansatz bricht mit Stereotypen eines essentialistischen Denkens und dekonstruiert tradierte, konservative Vorstellungen von Mutterschaft ironisch und mit einer Prise Humor.
Die Lecture in St. Gallen ist eine mehrschichtige Erzählung über das Gelingen und das Scheitern, die einerseits die Erinnerungen von Pascale Grau an die Performances anhand von Artefakten aufleben lassen und andererseits als eine eigenständige performative Re-Interpretation zu lesen ist. Am Schluss der Lecture-Performance zeigte sie den aus noch vorhandenen Fragmenten zusammengeschnittene Super-8-Film, auf dem Eier zu sehen sind, die sich auf einem Rad bewegen, nach unten in einen Pelz fallen oder rot leuchten, explodieren oder wie ein hartgekochtes Ei mit Messer und Gabel von der Schale getrennt wird. Danach war ein Dressiersack zu sehen, mit dicker Eiermasse gefüllt, mit dem auf eine Unterlage «Kiss me quick» geschrieben wird. Am Ende des Films steht Pascale Grau vor einem Bassin und pflückt lächelnd die Eier von ihrem Kostüm, jongliert damit und wirft sie ins Wasser hinter sich. Das Video endet mit dem Satz: «…und die sinnlose Verausgabung hat ein End».
Margarit von Büren, Dezember 2016