Kunstwerke in Form von Tableaux vivants erleben, Manifesten lauschen: Alexandra Pirici & Manuel Pelmus verfolgen eine lebendige Kunstgeschichte, die ungeahnte Einsichten und ständig neue Begegnungen mit sich bringt. Für einige Tage war dieses Performanceprojekt im Kunsthaus Glarus zu Gast.
Es ist ein wenig wie beim Memory-Spiel, bei dem Bildpaare aufeinandergelegt werden. Eine Karte liegt verdeckt, man hat sich Sujet sowie Platz gemerkt und ordnet das entsprechende ‹Doppel› zu. Doch während sich beim Memory alles in der Fläche und meist anhand von Pflanzen, Tieren und Alltagsgegenständen abspielt, machen hier kanonische sowie auch unbekanntere Werke der Kunstgeschichte das Bildrepertoire aus, das die drei Performer/innen räumlich bzw. körperlich umsetzen. Auf die jeweilige Ankündigung folgt die performative Formung des Werks, die Performer/innen setzen sich in Bewegung, steuern einen bestimmten Ort im Ausstellungsraum an und nehmen ihre Positionen ein. Körper verwandeln sich in Figuren, werden zu abstrakten (Bild-)Elementen: heroische Pose, verdichtete Körperhaltungen oder prägnante, erstarrte Gesten – Körperkonfigurationen im Raum und am Boden.
Je nach Standort fällt der Groschen sofort, das entstandene Tableau deckt sich mit dem erinnerten Bild des Kunstwerks. Freude über das Wiedererkennen wechselt ab mit konzentrierter Beobachtung. Die Suche nach dem richtigen ‹Blickwinkel› motiviert dazu, sich selbst im Raum zu bewegen, angetrieben von einer Art körperlicher Impulsübertragung. Abstand halten, sich annähern. Darüber hinaus erschliessen sich ständig ungewohnte Perspektiven, auch auf die anderen Anwesenden, die sich ‹ins Bild eingeschlichen› haben. Dem Wesen zeitgenössischer Kunst entsprechend können Installationen betreten und Werke partizipativ erlebt werden. So bietet ‹Büro für direkte Demokratie› von Joseph Beuys Anlass zur Diskussion mit den Performer/innen, während Haroun Farockis Film ‹Workers Leaving the Factory› eine gemeinsame Aktion von Vorwärtsstürmen und Ausweichen, von Nachlaufen und Stillstehen provoziert. Die in loser Folge vorgetragenen Manifest-Texte lenken den Blick nach innen, die Hände formen Schalltrichter hinter den Ohren: die Augen schliessen, zuhören, dem Gesprochenen folgen, mit leisen Schritten und tastenden Bewegungen.
Die Zeit verstreicht wie im Flug. Im Auf und Ab von Sehen und Hören, von beobachtendem Nachvollziehen der ‹Bildwerdung› und deren Auflösung geraten die Momente dazwischen zur Pause, die ebenso von Neugierde und Erwartung wie von halblauten Gesprächen erfüllt ist. In rund einer Stunde zeichnen die Performer/innen eine immaterielle Kunstgeschichte, die auch als kritische Gegen-Erzählung verstanden werden kann und das individuelle Bildgedächtnis mit seiner kollektiven Rahmung kurzschliesst.
Erstpublikation des Textes im Kunstbulletin 06/2016, Performance im Blickfeld.