Was macht Performance aus, welche Ansätze werden damit verbunden? Die Diskussion dieser Fragen hat seit einiger Zeit wieder an Aktualität gewonnen, da performative Praktiken auch künstlerische Strategien und Artikulationen durchziehen, die sich nicht explizit als Performancekunst verstehen.
In der Schweiz besitzt dieses «Genre» eine Geschichte, die nicht nur Teil einer internationalen Entwicklung ist, sondern auch vitale Zentren und vielfältige, eigenständige Traditionen herausgebildet hat. Einher geht damit ein theoretisches Interesse an Konzepten von Performativität, Queer und Gender, Dokumentalität und Repräsentanz. Aber auch kunst- und kulturwissenschaftliche Forschungen, Oral-History-Projekte und die sukzessive Erschliessung von Archiven tragen das ihre dazu bei, dem aktuellen Geschehen eine historische Perspektive an die Seite zu stellen.
Kontinuierliche (Neu-)Verortungen
Selbstorganisierte Initiativen, Off-Spaces und Festivals spielen bei Ausprägung und Differenzierung der Performancekultur eine entscheidende Rolle. Sie alle bieten dank ihres grossen Engagements – und oft trotz rudimentärer finanzieller Bedingungen – den Performer/innen seit vielen Jahren eine Plattform. Einige Orte können bereits auf ein über zehnjähriges Bestehen zurückblicken, bspw. der Kaskadenkondensator (Basel), das BONE Festival (Bern), International Performance Art in Giswil oder lokal.int (Biel). Andere Projekte wie Piano Nobile und .perf (Genf), migma (Luzern), stromereien (Zürich) oder Performance Index (Basel) sind jüngeren Datums beziehungsweise haben ihre Tätigkeit nach einigen ertragreichen Jahren eingestellt. Temporäre Räume, nomadische und themenbezogene Anlässe weiten das Angebot für Produktion und Rezeption beständig aus, infiltrieren bestehende Strukturen und tragen zur produktiven Heterogenität der Schweizer Performance-Szene bei.
Nichtsdestotrotz lassen sich auch Tendenzen ausmachen: So ist die Performance im aktuellen Kunstgeschehen zu einem selbstverständlichen Medium geworden, das gleichberechtigt in der Palette künstlerischer Ausdrucksformen figuriert. Zugleich werden klassische Topoi der Performancekunst wie Körper und Raum, Handlung und Präsenz, Medialität und Repräsentation beständig neu verhandelt und transformiert. Sie erfahren zeitgenössische Formen der Aktualisierung, die u. a. mit Konzepten von Virtualität, einer Ästhetik der Glätte und Aspekten des Eventhaften einhergehen bzw. diese hinterfragen. Schnittstellen zu theatralen Praktiken, aber auch zum zeitgenössischen Tanz führen zu teils hybriden Cross-over-Formen, in die auch mediale Mainstreams ironisch-kritisch integriert werden. Mit dem jungen Format der Lecture-Performance reagieren Künstler/innen auf ein gesteigertes Interesse an performativer (Wissens-)Vermittlung und multiperspektivischen Narrationen, die oft auch theoretische Kontexte einbeziehen. Der öffentliche Raum wiederum wird als Schauplatz ökonomischer Hegemonien und (gesellschafts-)politischer Machtverhältnisse thematisiert, seine Strukturen werden situativ umgedeutet und temporär angeeignet.
Blick zurück, nach vorn, auf alle Seiten
Ein weiteres Charakteristikum der Schweizer Performance-Szene liegt in ihrer in- und ausländischen Vernetzung. In diesem Zusammenhang sind die Schweizer Kunst(hoch)schulen ein wichtiger Faktor: So sind an quasi allen Schulen Performer/innen als Dozierende tätig, die nicht nur anhand der eigenen künstlerischen Tätigkeit praktisches Know-how vermitteln, Traditionen mit neuen Ansätzen verknüpfen und aktiv Performance-Geschichte(n) weiterschreiben. Mit dem seit 2003 jährlich stattfindende ACT-Festival haben die Schulen zudem eine eigene Plattform lanciert, die den Studierenden die Möglichkeiten öffentlicher Präsentationen bietet. Diesem Projekt ist es u. a. zu verdanken, dass unterschiedlichste Performance-Formate heute in der Kunstausbildung einen selbstverständlichen Platz einnehmen.
Die im europäischen Vergleich gut ausgestattete Schweizer Kulturförderung hat sich ebenfalls der Performance geöffnet. Diesbezüglich ist der kantonal-kommunal getragene ‹Performancepreis Schweiz› hervorzuheben, der seit 2011 mit dem Ansatz der ‹Sicht aufs Original› als nationaler Wettbewerb durchgeführt wird. Die eingeladenen Künstler/innen performen vor Publikum und gleichzeitig vor der Fachjury, deren Entscheidung dadurch ein hohes Mass an Transparenz erfährt.
Don’t worry, be happy?
Gesellschaftlich betrachtet herrscht seit geraumer Zeit ein starkes Bedürfnis nach Authentizität, emotionaler Teilhabe und Berührung, das in Gefässen der Social Media, in Event- und Erlebniskulturen nach Verwirklichung sucht. Das wachsende Interesse an Performancekunst lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass Kunstmarkt und Institutionen ebenfalls vermehrt dieses «Genre» entdecken, was auch problematische Nebeneffekte wie forcierte Vermarktungstendenzen und die Gefahr der Vereinnahmung mit sich bringt. Der Performance-Szene Schweiz sei hier attestiert, dass sie über ausreichend Vitalität und Potenzial verfügt, um diese Herausforderungen anzunehmen und ihnen kritisch und gegebenenfalls widerständig zu begegnen.
Erstpublikation des Textes im Kunstbulletin 07-08/2016, Performance im Blickfeld.