Zunächst das Warten darauf, dass Ruhe einkehrt, die Gespräche verstummen. Die drei Performer/innen sind bereits in ‹Startposition›, sie haben im Raum Position bezogen, doppeln mit ihren Körpern Elemente der architektonischen Struktur. An den Wänden sind Blätter aufgekleistert, Buchseiten mit einzelnen Worten, Satzfragmenten, strukturierten Kombinationen und Arrangements. Das Publikum hat sich mittlerweile zurückgezogen, umsäumt die frei gewordene Raummitte.
Die erste Performerin beginnt prononciert zu sprechen, artikuliert halblaut das Wort «I»; die anderen schliessen sich an, jedeR scheint einem eigenen Rhythmus zu folgen, einer eigenen Stimme, einer gemeinschaftlichen Partitur. Blickkontakte signalisieren Pausen und Einsätze, Gruppierung und Parallelführung im Sprechen, die von den Bewegungen der drei Performer/innen im Raum ebenso unterstrichen wie aufgebrochen werden. Zwischen dreissig Sekunden bis hin zu sieben Minuten spielen sie einander Wörter wie Bälle zu, sprechen aufeinander ein, ziehen mit dem Gesprochenen Linien durch den Raum, lassen Wörter an den Körpern der anderen (und des Publikums) abprallen, worauf diese zwischen den Wänden und Pfeilern weiter fortklingen. Während rund eineinhalb Stunden «vermessen» die drei Personen den Ausstellungsraum, spannen zwischen ihren Körpern und Stimmen, teilweise auch unter Einbezug des Publikums Zwischenräume auf, die immer wieder aufgelöst oder, besser gesagt, aufgegeben werden, um an anderer Stelle anhand eines neuen körperlichen oder sprachlichen Impulses wieder eröffnet zu werden.
Solostimme, Zwei- und Dreiklang, sprachliche Cluster. In rhythmisierter Wechselrede entrollt sich der gedichtähnliche Text in den Raum, der Satz «I want to say something», der schlussendlich das sprachliche Material bildet, schwingt zwischen den Personen hin und her. Das Ich wechselt ebenso konsequent seinen Platz wie die gegenseitige sprachliche Adressierung, wodurch sich auch die Syntax des Satzes verschiebt und in unbeschreiblich vielfältigen Kombinationen mündet: beispielsweise in ein «Say! Say!», ein «I want something», ein «Say something!», ein «I want to want» oder ein «Want I?». Je nach Lautstärke und Vokalisierung verselbstständigen sich die Phoneme, «want» verschleift zu «wand» [engl. Zauberstab], «won’t» oder «what». Rhythmuswechsel bringen neue Wortfolgen hervor, die dezidierte Äusserung des «want to» verwandelt sich in das musikalische Signal «one two», das eher unspezifische «something» erlebt eine stimmliche Intonation, die an Kuckucksrufe erinnert. Diese Veränderungen im Musikalischen, Stimmlichen sind immer an Verschiebungen des semantischen Spektrums geknüpft, wodurch letztlich der simple Satz im Verlauf der Performance eine Vielzahl an Bedeutungen, Aussagen und kommunikative Signale durchlebt. – Hierzu ist noch zu ergänzen, dass sich je nach Sprachkompetenz der Betrachter/in respektive je nachdem, in welchem Land die Performance aufgeführt wird, das «Verständnis» des Gesprochenen nochmals ändert, so klingt «to say» für ein französisch geprägtes Ohr wie «tousser» [franz. husten] oder «to say to» wie «tout est tout» [franz. alles ist alles]. Und italienisch sprechende Besucher/innen sind vermutlich verführt, statt des englischen «say» doch ein «sei» [ital. sechs, oder auch: du bist] zu hören.
Während die Performer/innen das Instrumentarium des Stimmlichen in seiner ganzen Bandbreite ausschöpfen, bleiben ihre Körper weitgehend statisch, kaum eine Geste unterstreicht die Rede und auch die Mimik ist durchgehend konzentriert und ausgeglichen. Dennoch sind Performer/innen viel mehr als «Lautsprecher», aus deren Körpern die Stimmen den Text in den Raum entlassen, in immer neue Bedeutungen katapultieren und zu Klanglichem wenden. Distanz und Nähe, Ein- und Ausschluss in das kommunikative Geflecht, in der Wiederholung standhaft bleiben und sich dem Wechsel von Text oder Rhythmus aussetzen. All diese Facetten verleihen dem Gesprochenen eine temporale, aber auch dezidiert räumliche Präsenz, die jedoch nicht an einen Ort gebunden ist, sondern immer Verhandlung bleibt. So manifestieren sich in den ständig wechselnden Körper- und Sprachformationen auch performativ agierende Micro-Communities, die im Moment der sprachlichen Äusserung immer neue bewegliche, liminale Räume eröffnen, deren Grenzen weder festgelegt noch von Dauer sind.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist deutlich geworden, dass zwischen den Texten an den Wänden und der Live-Performance eine strukturelle Verbindung besteht. Denn versucht man sich das Gesprochene als etwas Geschriebenes vorzustellen, drängen sich unweigerlich Notationsformen auf, ähnlich minimalistisch-konkreten Gedichten oder konkreter Musik. Das Akustische ist in grafische Pattern übersetzt, die zeitlich determinierte mündliche Artikulation in einen im linear organisierten Buch-Raum auftretenden Performance-Text überführt. Diese «Rahmung» wiederum signalisiert, dass die eben erlebte Live-Performance eine mögliche Übersetzungsform des Textuellen darstellt, die aber ebenso gut auch in einem anderen «Medium», beim Durchblättern und Lesen eines Buches, erlebt und auch weitergetragen werden könnte – oder auch durch die T-Shirts, die an einigen Tagen zum Anziehen und Mitnehmen aufliegen.
Irene Müller, Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin und Autorin, lebt in Zürich. irene.mueller1@gmx.ch