Dorothea Rust:Gisela’s Performance in «I see darkness — Diesseits»
Dorothea Rust schreibt nach der Performance von Gisela Hochuli am Samstag 29.5.2021 in der Ausstellung «I see darkness – Diesseits» von Ester Vonplon in der Galerie Stephan Witschi Zürich.
Als ich mich an diesem 29. Mai, vor fast zwei Jahren, zu Gisela’s Performance aufmachte, schien die Sonne. Sie flutete den Galerieraum, der sich in einem Hinterhof an der Zwinglistrasse, im Kreis 4 in Zürich befindet. Als ich eintrat, sassen die Zuschauer:innen bereits auf Stühlen und Bänken. In dieser Zeit befand ich mich in einer eher seltsamen persönlichen Gemengelage – verlegen und irgendwie ausserhalb von mir und allem. Die Erinnerung an diesen Zustand und an Gisela’s Performance überkreuzen sich. Aus dieser Ausgangslage heraus, die Performance von Gisela in ihren weiteren Bezügen zu erfahren, muss mich mutmasslich bewogen haben, mich mit ziemlichem Zeitabstand anhand meiner Notizen wieder an Gisela’s Performance heranzutasten.
Gisela steht in dunkler Bekleidung vor uns, in Ester Vonplon’s Ausstellung, im Galerieraum von Stephan Witschi. Umgeben von ihren Malereien/Bildern an den Wänden, reibt Gisela zwei Keramikflaschen gegeneinander. Ich schaue zuerst den Bewegungen ihrer Hände zu und schliesse dann die Augen. Was weckt dieses Reibgeräusch, wenn ich ‘nur’ dem Geräusch zuhöre? Ich befinde mich in einer Fabrikanlage; in einer Werkstätte aus einer anderen Zeit stehe ich vor einem Maschinen-Ungetüm, dessen Oberfläche rostig patiniert ist. Ein ähnliches Geräusch habe ich schon wo gehört: etwas mahlt und mahlt Tag und Nacht, ohne Unterlass wird etwas fabriziert, das ich nicht zu sehen bekomme. Dieses Geräusch will ich benennen, es liegt mir auf der Zunge. Ich kann nicht sagen, woher es kommt, es scheint tief vergraben zu liegen …
Nachher entfaltet Gisela ein grosses schwarzes Tuch, es macht ein stoffiges und filziges Geräusch; das Tuch sagt, ’ich bin so schwer wie ich dunkel bin’. Und Gisela ist dunkel bis schwarz angezogen. Es wird gemeinhin gesagt, dass die Farbe schwarz neutralisiere. Ja das könnte so gelten, denn Gisela’s ’body’ ist nicht so wichtig, aber ihre Haare brillieren gelb-golden und ihre Wangen sind fein gerötet, beide leuchten. Und es wird gesagt, die Farbe schwarz manifestiere gleichzeitig Dominanz. Ja auch das könnte so gelten, denn Gisela hebt sich von der Umgebung ab und von den Bildern rundum, die von aquarellig-bläulich-wässriger Substanz sind und ein leicht-schwebendes Ambiente schaffen. Sie pendeln sich ein mit Gisela’s Präsenz und dem Duktus ihrer Performance.
Gisela wirft das Tuch über den bereitgestellten Tisch und verschwindet darunter – Verwandlung. Jetzt, wo ich einige Monate später im Rahmen von «PANCH – Resonanz in Sprache» mit anderen Schreibenden an einem langen Tisch sitze und mich freiwillig verpflichtet habe, zwei Stunden lang an diesem Text zu Gisela’s Performance zu schreiben, sehe ich das Gesicht von Kafka vor mir, seine stechenden Augen. Warum kommt er mir in den Sinn? Und dann auch etwelches literarisches Personal aus Beckett-Werken, das sich in versperrter Lage ihrer Aussichtslosigkeit hingibt und dabei, das was ist, entdeckt. Gisela kriecht durch das Tuch, ja durch das Tuch kriecht sie auf dem Tisch. Obwohl ich weiss, dass Gisela da durchkriecht, kriechen meine Gedanken ganz nahe ans Tuch heran und vergessen, dass Gisela darunter ist. Und sie können das Tuch fast riechen, obwohl ich weiter weg sitze. Sie schauen den Formungen und Ausstülpungen zu und ziehen mich in die eigene Tiefe, jetzt schaue ich in mich selber hinein. Durchkriechen und dann sich sozusagen selber herausziehen oder ist Gisela vom Tuch und Tisch gefallen?
Ein Kontrast zu den durchlässigen Bildern der Malerin Vonplon? Haben ihre Bilder eine röntgische Tiefenschãrfe, die sich mir jetzt erst durch Gisela’s Performance erschliesst? Denn wo ich hinblicke, schauen die Bilder mich an.
Jetzt kommt Seidenpapier zum Einsatz. Ein farblicher Kontrast zur dumpfen Stofflichkeit des Tuches, das Gisela auf dem Tisch gewissermassen gezeigt hat, wo’s lang geht. Jetzt schneidend scharfe Geräusche vom Seidenpapier. Gisela hält es mit ihren Gesten im Zaume, sie zeigt ihm, wo’s lang geht. Ihr Tun ist heftig – das Seidenpapier wird nach der Luftschlacht zum Riesen-Schmetterling und zu ihrer Kopfbedeckung. Sie zieht das Material unter ihren Pullover. Will sie, dass es in ihren Körper eingeht? Was gibt’s noch nach Keramik, Tuch, Seidenpapier? Welche Geräusche machen die Bilder von Ester Vonplon? Sind sie (auch) auf Spurensuche nach Realitäten unter ihren transparenten Formen- und Farbenwelten?
Gisela behändigt sich einer dunklen Karton-Papierrolle, rollt sie aus. Und dann sind da noch vertrocknete Sonnenblumen. Sie schwingen farblich mit dem Kartonmaterial. Aber wo sind sie geblieben? Ein Flash-Cocktail taucht auf, der sogleich wieder verschwindet. Er ist zusammengesetzt aus Geomantik, also der Suche für Standorte, die mit den Lebenskräften der Natur in Einklang stehen, Robert Fludd’s Mikro- und Makrokosmus, gepaart mit Anselm Kiefer’s Sonnenblumen. Diese Gedanken verschwinden blitzartig, weil Gisela sich bäuchlings hinlegt und Kriechbewegungen macht, und das Papier alsdann geräuschvoll ’unter sie kriecht’ und weil wenn sie es so mit ihrem Körper zusammenrafft, tönen die Geräusche des Karton’s wie grosse Wassermassen, die sich in einem Eismeer bewegen.
Ein Spektakel der Zurückhaltung, wenn Zurückhaltung eine bestimmte Art der Anwesenheit meint, die gefüllt ist mit Sorgfalt, Intensität, verlegener Zaghaftigkeit, die sich plötzlich in Entschlossenheit verkehren kann. Ja fast schon spektakulär ist diese Zurückhaltung, die magnetisch unsere Aufmerksamkeit auf Gisela’s Silhouette zieht, ihre körperliche Stofflichkeit und auch auf die Materialien, die sie bearbeitet. Und dieses Spektakel ist anders, ja fast die Umkehrung von wie Guy Debord Spektakel versteht, nämlich als Warenfetischismus. In der Performance von Gisela wird Ware zum Arbeitsmaterial, das sich direkt an den Körper der Performerin andockt. Es ist kein Fetisch, denn es wird betastet, berührt, geführt, und es wird in seiner leiblichen Wirklichkeit respektiert. Sein Wert erschliesst sich durch die Be(tr)achtung der Performerin.Rundum wird fotografiert und gefilmt. Ich ’deckle’ immer wieder meine Augen, will die Geräusche wirken lassen, will den Zusammenhang zwischen den Bildern in der Ausstellung und Gisela’s körperlich-bildlicher Präsenz, beide als Nachbilder wirken lassen.
Warum schleichen sich Sätze in meinen Kopf wie ‚diese Performance ist ein horizontaler Erdrutsch‘, und ‚warum haben die Bilder von Ester Vonplon Rahmen‘? Wie die Rahmung das Lesen der Performance beeinflusst, deutet sich mir erst jetzt im Nachhinein an: Gisela’s Präsenz und ihr Umgang mit den Materialien – die durch ihre Handhabung auf eigenartige Weise durchstrahlt werden — könnte durchaus auch röntgische Qualität haben, wie die Bilder von Ester Vonplon.
Mai 2023 © Dorothea Rustauthor, artist, 8003 Zurichrust.doro@bluewin.ch, www.dorothearust.ch