Dagmar Venohr:vertexten
Dagmar Venohr schreibt im Auftrag von Revolving Histories über das Event «COME AND SHOW – Performance all day long» am Samstag vom 06.08.2022 im Museum Tinguely Basel
Worte winden sich, erkunden Halt suchend den prallen Raum. Kann das Geschehene geschrieben werden? Wie wollen die Ereignisse benannt werden? Schreibt ein Wort Erfahrenes fort? Menschen und Dinge sprechen in vielen Sprachen untereinander, miteinander. Ich beobachte, bin dabei und etwas spricht mich an, kommt mir entgegen. Es geht mich an und setzt mir zu. Vermeide zu verstehen. Es braucht vielmehr mein Verständnis, voller Verwirrung, Verstörung, Verstärkung, Verwirklichung, Verbindung. Die situative Gleichzeitigkeit lässt mich straucheln. Von überall ein Tönen, Bewegen, Duften, ein Vielklang aller Sinne. Das Synästhetische dieser synoptischen Synergien zerfasert mein Sehen. Wo, wie, wann und warum werde ich teilhaben? Wer zieht mich hinein, was öffnet mich, wohin soll das führen…
Wundernehmend wissen wollen, riechen, hören, tasten, fühlen, blicken und spüren. Sinne durchkreuzen sich, mein Sehen ist kein Beobachten mehr. Gedanken wollen nicht mehr ständig nur begreifen, sie lassen sich gehen. Ich lasse sie ziehen. Sinnend schweifen sie umher, werden getroffen von der Fülle der Geschehnisse. Eindrücke überlagern sich. Gurkenscheiben, roter Faden und ein Hauch von Tanz umgeben mich. Schichten des Erlebens hüllen mich ein, ich werde immer dichter. Nur scheint mir nicht sicher, ob diese Verdichtung sinnvoll ist. Ich nehme mich zurück, lasse mich anders ein. Spreche situationsvergessen mit wundervollen Menschen, tausche Ansichten, setze mich auseinander und teile mich mit.Welche Rolle spielt das gesprochene Wort? Wie kann das Geschriebene sein Wirken verlagern? – Kannst Du schreiben? – Mein Betrachten zur Sprache bringen? Ein schriftliches Bekleiden meiner Wahrnehmungen? Es rührt mich an, wühlt auf, tröstet mich, macht mich wütend und immer sprachlos. Die Weigerung das sinnliche Erleben in geschriebene Worte zu pressen, die Furcht es zu verflachen, der Unwille es zu konservieren, die Gefahr zu sezieren und es so zu verlieren, beherrschen mich. Lässt sich das Performative situativ erschreiben? Die Hand, der Stift, das Papier halten permanent fest, sind tätig, handeln mit mir die Worte aus. Manchmal sprudeln sie. Und sie stocken, stecken fest. Quetschen sich Hals über Kopf in die Hand, durch den Stift in das Papier. Oft sagen sie mir nichts. Worte wollen wachsen, über mich hinaus. Geschriebenes und auch Gesprochenes ist vielmehr ein Gegenüber als ein Meins. Gespräche übertönen das Gesprochene, das Sprechen wird Mund. Harte Klänge vereiteln zartes Tönen, das somit als Bewegung sichtbar wird.
So ist es auch nicht das handelnde Sprechen, das mich angeht. Es sind vielmehr die leisen Momente, die mir entgegenkommen. Dinge der Begegnung, die eine Reise markieren und Bindungen herstellen, gefundene Sammel-Stücke, die Orte mitnehmen und Rückblicke ermöglichend mit sich forttragen lassen, sagen mir etwas. Der Klang der Steine untereinander und die an ihnen kratzende Kohle tönen als alarmierende Harmonie, die appelliert. Klares Karaffen-Wasser wendet sich kühl ab und mir zu. Spitze Stelzen-Sounds und sich windende Kleider-Körper machen mich verletzbar. Ich möchte mich nicht schützen müssen. – Darf ich passen? – Dieser Tag ist dicht gesät. Im Solitude-Park, am Rhein-Ufer und vor dem Tinguely-Museum, zwischen Schachbrett und Brunnen geschehen und vergehen Momente, die Zeit und Raum, Menschen und Dinge im Hier und Jetzt verbinden. Alles zeugt von sozialer Eleganz, ein Fest der Zusammenkunft für die Dauer dieser gemeinsamen Augenblicke, Ohrenschmause, Nasenstürme und Gänsehäute. Fünfundsiebzig Performances ereignen sich nebeneinander, miteinander, hintereinander, untereinander und füreinander. Es wird, fliessend.Gurken-Spüren heisst, ihre Kühle und Frische als platschenden Sprühregen anzunehmen. Das Bild vom schnellen Schneiden flinker Hände wird im Liegen zum schreitenden Tönen einer sehnsuchtsvollen Tiefe, die sanfte Ruhe verkörpert. Alles zuvor Angespannte, Ausgesparte und Unpassende wird so nun vollkommen vergurkt. Ich bin hier, erfasse nun Strukturen, Materialien und Muster, tauche endlich in meine Sichtweisen ein. Schillernde Gurken-Scheiben auf Stirn mit Haar, an Ohr und Hals. Grünes Leuchten auf strahlender Haut. Es sind diese megaminikleinen Mikro-Momente, die sich ausdehnen, mir Raum geben, tief einsickern und mich locken.Zuvor beim Ribbel-Strick war es auch das schier unendlich sanfte rosa Garn und nicht der dringliche Sound und das imposante Ausschreiten, das mich aufmerken liess. Die gelockte Kräusel-Wolle aufgelöster Strick-Stücke macht mich materiell an. Ich liebe es aufzuribbeln. Machen-Wollen ist mein Schade am blossen Schauen. Wäre gern auch vom Faden umfangen worden, hätte mich wohlig auf der Woll-Wolke geräkelt. Klebrig duftender Pampelmusen-Saft spritzt und ergiesst sich im verletzenden Akt. Sieben Mal schmatzendes Platzen, sanftes Aufnehmen und heilendes Nähen erfassen mich. Das Material der Dinge und das Handeln menschlicher Körper rücken mehr und mehr in meinen Fokus. Das kenne ich gut, händische Heimaten und kraftvolle Körperkonflikte treffen mich. Die Faszination ruht im Teilhaben am Prozess des Geschehens, als sei es meine Gewalt mit Stirn, Hüfte, Fuss. Als ob ich heilen könnte, was ich zu flicken versuche. Nadeln als notwendiger Behelf zum Spurenlesen in Nähten.Unheimlich nahe Begegnungen hinterlassen roten Fadenschmuck, erzeugen Fragen und fordern auf zu handeln. Setze Dich ein, für Dich und für andere, trennen lässt sich das wahrscheinlich nicht. Wie invasiv dürfen wir agieren? Wie können wir schützende Grenzen wahrnehmen und Sicherheit geben, wie übergriffiges oder ausgrenzendes Verhalten erkennen und vermeiden? Wer spricht für wen? Und warum? Solidarisches Tanzen erscheint mir hier als Forderungen stellende und Fragen lösende Bewegung in Gemeinschaft. Auch das Störende und Verstörende kann ich nun zulassen, kann es annehmen und ablehnen, kann es mitnehmen und weiter befragen.
Ich ziehe mir dieses Begegnen an. Es macht mich verwundbar und zeigt mir auf, was ich nicht lösen, nur weiter tragen kann. Ich bin vielseitig verstrickt mit meinem Denken und Fühlen, und das teilt sich nun mit. Meine Worte werden wirksamer und füllen den Raum zwischen damals, gestern, eben gerade, heute, jetzt und vielleicht morgen. Sie knüpfen Verbindungen zwischen dem Erfahrenen, dem Gesprochenen, dem Notierten und dem, was doch noch anders gesagt werden will. Es ist die Furcht vor dem Setzen, dem Worte-in-die-Welt-Werfen, das machtvoll verletzen kann und immer auch verwundbar macht. Ich möchte mich nicht formulieren, will keine Form annehmen, die von Dauer sein soll. Es ist die agentielle Macht des geschriebenen Wortes, die mir wirklich Angst macht. Das performative, situative, flüchtige Schreiben, das sich im Akt des händischen Notierens als Geste selbst formt, ist meine Weise des Sichtens. Es lässt sich nicht in eine erfragte und gewünschte Schreibsetzung überführen, nicht ohne Verlust und bedingtes Scheitern. – Ich stelle mich, vertexte. – Und ja, ich kann schreiben. Nur meine Notizen, vielmehr Notationen, dienen mir nicht, verlieren ihre Sinnhaftigkeit beim Verfassen. Wie ich bemerke, ist mein Notieren eine Haltung. Es ist ein Handeln mit Gedanken und Dingen, ein synästhetisches Zu-mir-Nehmen, ein tastendes Schmecken und sprachliches Ausspucken, das dicht bei mir bleibt. Ich nehme meine Kladde nicht noch mal zur Hand. Schreibe hier nun rückblickend durch mich hindurch, um das Erlebte mit euch zu teilen.Ob ein solcher Text die gespürte soziale Eleganz wieder und weiter geben kann? Jenes Knistern, Flirren, Surren, Achten, Krachen, Schnurren, Streicheln, Streifen, Platschen, Platzen, Schmecken, Kitzeln, Klirren, Kichern, Liegen, Staunen, Zweifeln, Schweigen, Wärmen, Lärmen, Lauschen und Stillen, das ich hier erfahren durfte? Dieses sagenhafte Zusammenkommen so vieler Menschen, die ihre Anliegen mit uns teilten, hinterlässt bei mir bunte Spuren unsagbar vieler, fehlender Worte … Es bleibt, ein grosser Freiraum voller Verbundenheit.
Dank an Andrea Saemann, die siebenundzwanzig Tage zuvor fragte, ob ich schreiben kann.Dank an Elke Mark, die zu mir kam und mich mitnahm.Dank an Glynis Ackermann für elegant Treffendes.Dank an Azad:emisyen Colemêrg.