Andrea Saemann:Performance und Archiv in guter Hoffnung
Andrea Saemann denkt nach über Aufzeichnungen und Performanceankäufe.
Ich habe verstanden, dass es verschiedene Sorten Notizbücher gibt. Einfänger. Taschen. Abreissblock. Ablage. Reservoir. Reservat. Kamera. Blindgänger. Liniert, kariert oder blanko.
Ich habe gelernt, dass sich Partikel rund um das Ereignis streuen. Als Kommunikationsmittel aller Involvierten zwischen Organisation, Gruppenbildung, Geld, Technik, Atmosphäre und Auftritt. So dass es klappt oder das Herz im Kopf sich öffnet. Als mechanisch und digital Aufgezeichnetes, Gesehenes, Gehörtes, Gestörtes und Verwackeltes. Immer dieser Hinterkopf, im Bild.
Erst wenn ich etwas vergesse, kann ich es erinnern und veräussern.
In einem thailändischen Dorf habe ich mich zu den Frauen vors Haus gesetzt. Alle tranken selbstgebrauten Alkohol aus Petflaschen. Die Männer zogen laut durchs Dorf. Die Frauen sassen. Später nahmen sie mich mit in ihre Prozession zum Tempel. Ein Rhythmus regelte die Schritte. Ich folgte. Die Arme und die Hände koordinierten sich oben dazu. Während eine Hand sich vertikal aufstellte und die Luft vom Körper wegstiess, führte die andere Hand mit offener horizontal liegender Fläche zum Körper hin. Wechselseitig gestikulierend und immer zugleich. Einladung und Ablehnung ausbalancierend. Ich war begeistert.
Ich habe verstanden, dass es meine Notizbücher, die blauen Schulhefte, nicht mehr neu zu kaufen gibt. Nicht in A5. Nicht in blanko. Nicht in dieser Schlichtheit. Sie wurden von einer neuen Generation abgelöst. Das Blau ist heller und satter geworden. Die Heftecken wurden zur Blätterung hin abgerundet. Die rechte untere Ecke wurde perspektivisch und mit Schattenwurf umgeschlagen. Umgeschlagen ist sie erstaunlicherweise wieder eckig. Sie sagt: Hier kannst du blättern. Da wo früher eine Etikette – schon damals nur bildhaft – auf dem Umschlag klebte, wurde von Hand ein Fenster gerissen und der Blick auf die vermeintlich nächste Seite frei: liniert, kariert oder blanko. Alles ist Bild. Die gerissenen Kanten ums Fenster, das vorgetäuschte Umblättern, alles Vorstellung, alles Grafik. Das Heft liegt nicht mehr still. Es hat schon alles hinter sich. Gerissen und umgeblättert liegt es da.
Was will ich, wenn meine Performance aufgezeichnet wird. Was will ich, wenn meine Performance angekauft wird. Worin liegt die Freude? Worin liegt die Befriedigung? Und welche Kreisläufe werden dabei aktiviert? Wie geht meine Performance auf Reisen? Welche Lust segelt da mit?
Was will ich, wenn ich deine Performanceaufzeichnung anschaue. Was will ich, wenn ich deine Performance ankaufe. Was kann ich damit tun? Worin liegt die Befriedigung, deine Performance angekauft zu haben? Welche Kreisläufe kann ich mit deiner Performance aktivieren, jetzt und in der Zukunft? Welche Lüste segeln da mit?
Die thailändischen Frauen haben mir die Schritte, die Handbewegungen gezeigt. Nach dem Fest, lag ich zwei Tage lang in der Hütte, die Koordinaten hatten sich mit dem Alkohol verschoben, ich brauchte Zeit.