Muda Mathis schreibt nach der Performance «Crotch – References on Joseph Beuys» von Keith Hennessy am Freitag 5.12.2014 anlässlich des Festivals für Aktionskunst BONE 17 kuratiert von Valerian Maly und Maya Bösch im Schlachthaus Theater Bern.
Keith Hennessy liefert uns ein Nummernprogramm. Keith schlüpft in viele Rollen, in der er Keith spielt, der in diese und jene Rolle oder Genre schlüpft. Keith ist nicht nur Publikumsanimator, ein höflich autoritärer Rumkommandierer, er ist auch Vermittler und Conférencier, der von einer Nummer zur Nächsten Brücken baut, indem er sprechend vorwegnimmt, was nun kommen wird und warum er nun dies oder jenes anzieht oder auszieht. Der Mann hat in einer fast schon atemlosen, mütterlichen Multitasking-Manie alles im Griff. Er ist Bühnenarbeiter, Tänzer, Lehrmeister, Gedichte vorlesender Poet, S/M, Geissler, Folterer, Opfer, schmalziger Sänger, Fakir, Beuys, Jesus, Penner und Mime.Bei jeder neuen Nummer zieht er sich um, gerne hat er Kopfverhüllungen, Bärte, Brillen und Masken. Der Bühnenraum ist sorgfältig ausgestattet, der Raum könnte durchaus eine «ernst gemeinte» Installation im Ausstellungsraum sein. Jeder Akt, jede Nummer hat ihren Ort in der Installation, es ist ein kleines Stationentheater, frontal.
Die ganze Bühnenfläche ist mit Objekten auf dem Boden ausgelegt. Daneben stehen Transparente mit Beuys Zitaten wie «das Schweigen von Marcel Duchamps wird überbewertet», aber auch andere Zitate. Eine durchsichtige Plastikblache liegt am Boden, Dachlatten, Bücher, Zitronen mit Lämpchen drin, ein aufgehängter Teddybär mit schwarzem Sack überm Kopf, ein Tischchen, Stuhl mit Margarinenberg drauf, weisser Stoffhase usw.Keith Hennessy ist barfuss in normalen Strassenkleidern, verteilt dem Publikum Schokolade. Das Stück hat noch gar nicht angefangen, Leute kommen noch rein, machen es sich auf den Zuschauerstühlen bequem.
Dann steht Keith Hennessy, rechts hinten im Bühnenraum auf einen Stuhl. Und ruft das Publikum zu sich. Das Publikum soll sich vorstellen, dass dies kein Theaterraum sei, dass Publikum solle jetzt aufstehen, solle sich bewegen und die Objekte, seine Auslage, seine Ausstellung anschauen. Dann rezitiert Keith Hennessy ein trauriges Gedicht über seinen Ehemann, der ihn verlassen habe, und sagt, dass ihm die letzte Zeile des Gedichtes fehle usw.
Er entblösst seinen Oberkörper. Er trägt nur ein rotes gehäkeltes Band, ein abstruses Accessoire, wie von einer verspielten Künstlersekte oder so. Er wechselt den Platz, ein süsser Countrysong wird eingespielt, er geht hin und peitscht den hängenden Teddybären aus. Keith trägt wie der Teddybär einen schwarzen Stoffsack über dem Gesicht. Das Publikum sieht sich unterdessen die vielen ausgelegten Objekte an. Dazu der muzakmässige Song, die Peitsche knallt. Die Aktion ist unangenehm, hat etwas Beiläufiges und wirkt darum umso absurder.
Anschliessend zieht Hennessy eine Beuys-Weste, einen Bart und eine cool-doofe Pilotensonnenbrille an, er trägt den weissen (Stoff-) Hasen im Arm und singt einen Song durchs Mikrofon mit, der abgespielt wird: «I wonna be high strong» usw. Darauf kündet Keith einen Abriss der europäischen Philosophie- und Kulturgeschichte in 7 Minuten an, von Platon über Hegel zu Butler. Um seine Lektion dem Publikum anschaulich zu machen, welches längst wieder auf den Stühlen im Zuschauerraum Platz genommen hat, lässt er die vorbereitete Plastikblache von drei Personen aus dem Publikum an Schnüren langsam hochziehen. Diese dient ihm dann als Wandtafel. In rasantem Tempo und getriebener Atemlosigkeit beschreibt er nun die Blache mit einer Übersicht von Persönlichkeiten aus Philosophie, Kunst und Tanz: Goya, Steiner, Laban, Duncan, Wigman, Rainer usw. Es geht um das Individuum und um den Körper, würde ich sagen. Um das, was Keith persönlich interessiert und was seine Erkenntniszusammenhänge sind. Sieben Minuten reichen nicht ganz, er muss etwas verlängern.
Dann kommt eine neue Nummer. Als erstes wieder umziehen, diesmal eine grüne Unterhose und Stulpen und eine billige Munch-ähnliche Schrei-Maske. Sobald Keith tanzt, merkt man, dass er wohl vom Tanz her kommt und ein geübter Tänzer ist. Als nächstes ein Lied mit dem Stoffhasen im Arm «it hurts», irgendein Mainstream Song der Popkultur, wo Wichtiges emotional verwandelt wird usw.Dann, ein Umbau mit den Dachlatten. Er nagelt sie neu zu einem Kreuz zusammen, das er zu einer schwülstigen Musik auf dem Kopf balancierend vorwärtsbewegt, dabei ab und zu das Gesicht zu einem Weinen verzieht.Anschliessend, nachdem er sich nackt ausgezogen hat, setzt Keith sich auf einen Stuhl und formt aus Fett eine Fettecke in seinen Schoss, dazu süsse Musik. Wie das Fett geformt ist, ruft er drei Personen aus dem Publikum zu sich. Sie setzen sich ihm gegenüber auf Stühle und er beginnt eine Nadel mit Faden durch die Haut seines Oberarms zu ziehen und näht sich mit den drei Personen (durch ihre Kleider) zusammen. Neben sich der weisse Stoffhase. Dann lässt er von einem Techniker die Fäden durchschneiden und sich mit einer Wolldecke zudecken. Er zieht künstliche Zähne an (sollen sie an Beuys Zähne erinnern?) und wandelt mit dem Hasen, der Wolldecke, den falschen Zähnen einen Song singend wie ein Penner oder Jesus in Hollywood-Musical-Manier langsam durch das Publikum raus.
Hennessy spielt auf einer umfangreichen Klaviatur an Referenzen und Kommunikationsformen, die die Figur Beuys nur unter anderem antippen.Ist das, was Keith da macht, Theater mit Beuys und Fluxus als Thema? Eher nicht. Es wird nicht wirklich erzählt oder Sinnzusammenhänge produziert.Ist das Performance im klassischen Sinne? Ja. Es wird vollzogen, es zeigt sich.Ja, was denn?Es zeigt sich Keith Hennessy’s Suche, sein Nachdenken und sein (emotionales) Überleben. Keith Hennessy ist ein amerikanischer Performer und Autor, welcher Pop, geisteswissenschaftliches Wissen, Halbwissen und Bezugnahmen, Kitsch, amerikanische Kultur und das Sich-Persönlich-Zeigen nebeneinander stellt und dies als dünkelloses Kulturverständnis zelebriert. Als Kulturverständnis vom Menschsein, vom politischen Menschsein, vom Künstlersein, vom kunstgeschichtlich-inspirierten Künstlersein. Alles was er benennt und zitiert, artikuliert er in seiner persönlichen Weise, macht es zu seinem Eigenen, das er gewillt ist mit uns zu teilen.
Text: Muda Mathis