Ich gebe offen zu: Ich schätze Museen und Kunsthallen auch, weil man dort mit Werken ziemlich gut allein sein kann. Weil diese ein Denken herausfordern, das sich weder im Lesen noch im Gespräch so direkt freilegen lässt. ‹Action!› macht nun die Selbstermächtigung von Kunst und Publikum zum Thema. Vorbei ist es mit der einzelgängerischen Beschaulichkeit. Wenigstens teilweise. Denn die Ausstellung mit Installationen und mit der Dokumentation historischer Performances gibt es selbstverständlich auch. Da folgen wir Francis Alÿs’ symbolischem Brückenschlag über die Meerenge von Gibraltar – einer bunten Kinderprozession, die sich im Wasser dem politischen und ökonomischen Gefälle der Kontinente widersetzt. In einer arrangierten Improvisation schleppen Boris Charmatz und Aernout Mik das Körperbild durch die Erinnerung ans existenzialistische Theater und an Anschläge der jüngsten Vergangenheit. Choreografie ist keine Bühnenkunst, sondern ein interaktives Setting, Experimentalraum zur Beschreibung der Gegenwart oder, wie bei William Forsythe, eine Einladung, Architektur mit dem Körper selbst zu vermessen.
Die Kuratorin Miriam Varadinis ortet das zunehmende Interesse an Performance in einem politischen Paradigmenwechsel: Flüchtlingskrise, Rechtspopulismus oder der ängstliche Rückzug der Meinungsäusserung ins Private verlangen nach einer (Re-) Aktion. Allan Kaprows Begriff des Museums als ‹Agency for Action› habe die Vorbereitung des konzentrierten Sommerprojekts unterlegt. Und so geht’s denn auch nicht primär um Kunst, die wir aus vorsichtiger Distanz zu kommentieren gewohnt sind, sondern um einen Weckruf und um Teilhabe, die uns Fragen stellt. Wenn wir etwa Tino Sehgals Angebot folgen und uns auf das Gespräch über Marktwirtschaft einlassen, wird unser Vokabular zum unsichtbaren Exponat. Dezidiert und leise investiert die Kunst ins Bewusstsein über monetäre Beweggründe.
«Zur Demokratie gehört, dass sich niemand Gesetz und Recht entzieht», hören wir an einer Stelle auf dem Audio-Guide, mit dem das Theaterkollektiv Rimini Protokoll jeden und jede einzeln durch die Sammlung lotst. Gewissensfragen an der Grenze zwischen privater Erfahrung und öffentlicher Verantwortung treiben uns einer Mitarbeit beim Geheimdienst zu. Da entreisst uns die Tonspur vollends der Kunstbetrachtung, wobei sich auch eine Reibung mit dem institutionellen Setting des Museums offenbart: ‹Top Secret International› macht Werke zu Statisten und uns selbst zu Akteuren, zu ängstlichen Verräterinnen schlimmstenfalls, die selbstgerecht und isoliert alles aufs Spiel setzen könnten.
Isabel Zürcher arbeitet als Kunstwissenschaftlerin und Autorin in Basel und Mulhouse. mail@isabel-zuercher.ch
Erstpublikation des Textes im Kunstbulletin 7-8/2017
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