Es ist keine leichte Aufgabe, eine künstlerische Strategie auszustellen, der beständig das Etikett des Ephemeren umgehängt wird. Aktuell haben mehrere Institutionen in der Schweiz diese Herausforderung angenommen, was eine interessante Gelegenheit zur kritischen Gegenlektüre bietet.
Basel reagierte auf den PerformanceBoom gleich an drei Standorten: in der Kaserne, der Kunsthalle und im Museum Tinguely. So präsentierte die Kaserne ein sechstägiges Programm mit choreografisch ausgerichteten Positionen, die – wie im Fall von Massimo Furlan – auch den öffentlichen Raum einbezogen. Und die Kunsthalle bietet ab Mitte Januar einen Monat lang eine Plattform für eine junge Künstlergeneration, deren Arbeiten performativ geprägt sind, die sich jedoch einer Einordnung in ein bestimmtes Genre bewusst entziehen. Das Museum Tinguely wiederum übernahm die ambitionierte Aufgabe eines kunsthistorischen Überblicks, wofür mit Jean Tinguely der hauseigene Bezugspunkt und Startschuss für «60 Jahre Performancekunst in der Schweiz» – so der explizit formulierte Anspruch – gesetzt wurde.
Doch wie erzählen die Kurator/innen hier diese Geschichte? Man trifft auf bekannte Positionen wie Dieter Meier oder Manon, macht den Sprung über den Teich zu Heidi Buchers ‹Bodyshells›. Mit John M. Armleder, Christian Marclay und Peter Regli sind die SoundArtisten versammelt, denen Yan Duyvendak mit seinem Zyklus von A-capella-Performances kräftig Paroli bietet. Erst im letzten Raum wird der dokumentarisch geprägte Parcours durchbrochen, nämlich mit Heinrich Lübers performativ zu aktivierendem Objekt und der markanten Skulptur, die Katja Schenker an der Eröffnung in situ aus der vorbereiteten Tonstruktur herausgeschält hat.
Überhaupt: Bei Performance handelt es sich um eine körper-, zeit- und raumbezogene Kunstform, die im Live-Erleben und über die Erinnerung daran, über Fotos und Videos, Skripte, Konzepte oder Relikte tradiert wird. Effektiv ausstellbar sind Dokumente und mediale «Bildwerdungen», die auf Abwesendes, Vergangenes und (in Zukunft) Mögliches verweisen. Im Umgang mit Performance-Artefakten ist also Fingerspitzengefühl gefragt, und daran mangelt es dem kuratorischen Ansatz. Denn was ist ausdrücklich für die Kamera entwickelte Performance, was ist dokumentierende Aufzeichnung? Welchen konzeptuellen und medialen Status besitzt das jeweilige Exponat, welche Intentionen prägen Bildregie und medienästhetische Rahmung?Unterschiedslos reiht die Ausstellung künstlerische Arbeiten und Dokumentationen aneinander; Informationen zum jeweils individuellen Verhältnis von Performativität und medialer Übersetzung sucht man leider vergebens. Angesichts der lebhaft und differenziert geführten Diskussion dieses Themas wurde hier eine Chance vergeben.
Das Kunstmuseum Bern begegnet der Hochkonjunktur der Performance mit einem eleganten Twist, indem nämlich ‹The Show Must Go On› die generelle Frage nach performativen Strategien stellt, und zwar unabhängig davon, in welchen Medien und Genres diese ihren Ausdruck finden. Anhand ausgewählter Sammlungsbestände beleuchtet die Ausstellung unterschiedlichste Ausdrucksformen des Performativen. Mit Claes Oldenburgs Fotoserien bzw. Kimsoojas oder Leidy Churchmans Videos werden zwar durchaus Arbeiten gezeigt, die einer dokumentarischen Ästhetik und Überlieferungsintention verpflichtet sind. Der Grossteil der Exponate hingegen zeigt die vielfältigen Strategien auf, die Künstler/innen seit den Sechzigerjahren unter dem Eindruck von Body und Performance Art sowie in jüngerer Zeit im Rahmen des «performative turn» gewählt haben, um sich mit Aspekten wie Körper und Repräsentation, Inszenierung und Theatralität oder leiblicher Aktivierung des Publikums auseinanderzusetzen: als installative, (potenziell) partizipative Setzung wie bei Vittorio Santoro, Pavel Büchel oder Dora Garcia, als bildliche Manifestation einer ganz spezifischen Körperlichkeit wie bei Manon, Anne-Julie Raccoursier oder Sylvie Zürcher. Das Spektrum ist breit angelegt, manche Entscheidungen erscheinen weit hergeholt. Dennoch gelingt es diesem kuratorischen Ansatz, ein Angebot von (kunsthistorischen) Lesarten zu formulieren, ohne dabei die ausgestellten Arbeiten einem illustrativen Zugriff zu unterziehen.
What’s about liveness?
Auf die brisante Frage, inwieweit Museen geeignet sind, nicht nur die ontologische, sondern auch die phänomenologische Dimension von Performances zu vermitteln, wählen beide Museen unterschiedliche Herangehensweisen. Dem Problem einer institutionellen Erstarrung begegnet das Museum Tinguely mit einem Programm von Live-Performances, das Möglichkeiten eines unmittelbaren Erlebens bietet. Das Kunstmuseum Bern wiederum rekurriert auf die langjährige Tradition von BONE, einem Performancefestival vor Ort, das Anfang Dezember im Schlachthaustheater stattfand: So wurden Performer/innen eingeladen, auf die Ausstellung zu reagieren.
Es erscheint symptomatisch, dass beide renommierten Museen bei ihrer Auseinandersetzung mit Performance(-kunst) in das Dilemma von adäquater medialer Präsentation und thematischer Totalisierung geraten sind. Institutionelle Parameter und ein diesbezügliches Selbstverständnis sind wesentliche Faktoren im Umgang mit dieser Kunstform. Umso mehr sind Initiativen wie die ‹Performance Chronik Basel›, das Netzwerk PANCH oder Aktivitäten von Projekträumen zu begrüssen, die Performance(-kunst) in einem experimentellen, diskursiven Raum bzw. in Verbindung mit einem historisch-wissenschaftlichen Selbstauftrag vermitteln. Die institutionelle Ungebundenheit dieser Projekte befördert einen aktivistischen Ansatz, weshalb hier auch neue Lesarten und Präsentationsformen erprobt und diskutiert werden, die in der etablierten Museumslandschaft (noch immer) keinen Platz finden.
Irene Müller, Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin und Autorin, lebt in Zürich. irene.mueller1@gmx.ch
Erstpublikation des Textes im Kunstbulletin 1-2/2018, Fokus // Performance