sabine gebhardt fink:faden überkreuzen
sabine Gebhardt Fink notiert im Austausch mit Dorothea Rust und andrea saemann Überlegungen zum kollektiven performance-anlass der «Doce en diciembre»-Gruppe am FR/SA 15./16.10.21 im KASKO BASEL.
Aktuell widmen sich eine Reihe von Performances der kritischen Auseinandersetzung mit Identitätspolitiken. Bereits 2017 beobachten Caroline Busta und Anke Dyes, dass «Identitätspolitiken (…) einmal ein wichtiges Instrument für die Kritik von Strukturen der Exklusion (waren). Heute sind die Identity Politics indes zu einem stark umstrittenen Begriff geworden» (Texte zur Kunst, Heft Nr. 107, September 2017). Laut Meinung der beiden Kritiker*innen sei es früher – sprich in den 1990er Jahren – darum gegangen, sich mit einer Community zu verbinden, um in einem positiven Sinne deren Interessen zu vertreten. Demgegenüber würde die Identitätspolitik in der Ära Trump dazu missbraucht, die Zugehörigkeit zu einer nicht dominanten Gruppe herauszustreichen, um sich zu individualisieren. Heute zeigt sich folgendes Bild: die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe – sei es eine Ethnie, sei es eine soziale Schicht, sei es eine nationale Herkunft, sei es ein phantasmatisches Konstrukt – wird in reaktionären Strategien herausgestrichen, um Personen auszugrenzen und ihnen legitime Ansprüche – zB auf den Flüchtlingsstatus bei politisch Verfolgten – abzusprechen. Dagegen regt sich weltweit künstlerischer und aktivistischer Widerstand. Rechte werden eingefordert, Kritik an Machtgefügen geübt, oder zu Veränderung aufgerufen. Dabei handelt es sich um künstlerische Positionen, die spezifischen Anliegen in einer Art und Weise Geltung verschaffen, die ich als «revolving histories of performance\art» verstehe.
Ein gutes Beispiel dieser Arbeitsweise ist der kollektive Anlass der Gruppe «Doce en Diciembre» im Kasko Basel im Oktober 2021. Künstler*innen, die in Argentinien, Deutschland und der Schweiz leben und arbeiten haben im Kontext einer Gruppen-Ausstellung Performances zu ebenso aktuellen wie akuten Themen wie Aktivismus, Femizid, Ecocriticism oder «Labour of Care» vorgestellt. Das Publikum war in wechselnden Rollen, Mitakteur*in, Gegenüber, Tänzer*in oder Gesprächspartner*in. Die Einladung erfolgte in Form einer Collage von Monika Dillier. Ausgehend von dieser Collage hat diese ein Re-Enactment zusammen mit Ute Schendel inszeniert, das den Titel «Der weisse Affe schenkt einen Pfirsich» trägt. Daraus entstand die Fotografie, auf der Monika Dillier allen Künstler*innen eine Frucht zuweist. Ausser Melina Berkenwald, die über ein Foto durch Nicole Boillat vertreten wird, waren alle Künstler*innen um einen gemeinsamen Tisch versammelt: Dorothea Rust, Elena Tejada, Barbara Naegelin, Chris Regn, Gisela Hochuli, Luján Funes, Paola Junqueira, Andrea Saemann, Maja Lascano, Jazmín Saidman, Belén Romero Gunset.
Gestartet hat den Reigen der Aktionen Maja Lascano mit einem Fadenspiel, Donna Haraways schönes Gedankenspiel zu String Games kommt mir dabei in den Sinn: in diesen Mustern lassen sich herkömmliche Bilder von Identität, Geschlecht auflösen, umspinnen, überkreuzen. Neu von der Künstler*in geschaffene Amulette, immer im Doppel erstellt, verbanden zwei Akteur*innen auf freundschaftliche Weise in unterschiedlichen Kombinationen und über den ganzen Abend hinweg.
Im Anschluss daran dirigierte Luján Funes umgeben von Fahnen und Bannern ein Tuchritual, in Anlehnung an die Bewegung «Ni una menos» in Argentinien, an der sie selbst auch aktiv teilnimmt. Diese geht seit 2017 gegen Femizid auf die Strasse und fordert hartnäckig die Verfolgung der Täter ein. Die Bewegung ist auch zentral für #metoo- und andere Protestbewegungen von Frauen in Europa – wie etwa in Polen. Sie ist eng verflochten mit der so genannten 4. Welle des Feminismus, der es laut der französischen Soziologin Aurore Koechlin nicht nur um eine akademische Auseinandersetzung mit Emanzipationsbewegungen geht, sondern auch um eine Verbindung zu gewerkschaftlichen Anliegen (wie etwa Lohngleichheit) und politischem Aktivismus für Emanzipationsbewegungen allgemein (Animals Rights, Ecocriticism etc.).
Belén Romero Gunset brachte in einem Dialog mit einer Künstlichen Intelligenz (AI) das Scheitern des Verstehens der Maschine mit menschlicher Imagination humorvoll und kritisch auf den Punkt: AIs wartet weder auf Regen, noch sind sie traurig oder ewig lebend – all das sind Vorstellungen der menschlichen Einbildungskraft.
Höhepunkt und Abschluss des Anlasses war der Geistertanz «Another ghost dance» von Dorothea Rust. Dieser basierte auf einer ästhetisch politischen Bewegung seit den 70er Jahren in den Südamerikas, in der eigene Traditionen im aktivistischen Sinne neu erfunden und europäische Einschreibungen «aufgefressen» wurden. Deutlich würde dies im Anthropophagismo an der 24th Sao Paulo Biennial (Vgl. Sabeth Buchmann, Denken gegen das Denken. Berlin 2007; Camila Maroja, Framing Latin American Art, Duke University Press 2015 ). Dorothea Rust nutzte dazu Objekte aus ihrer Arbeit «L’animoteur» und Soundmaterial von Barbara Naegelin. Den ganzen Ablauf hat Rust initiiert und choreografiert. Sie fungierte als Prozessentwicklerin und Zeremonienmeister*in dieses Geistertanzes. «Another ghost dance» bezieht sich zudem auf den Geistermonolog von Jacques Derrida aus dem Film «Ghost Dance» von Ken McMullen (1983) und «auf die vielen Geister, die uns alle tagtäglich umtreiben» wie die Künstler*in es formuliert. Rituelle und spirituelle Praktiken werden in Krisenzeiten in anderen Kulturen immer noch gelebt, in unserer Gesellschaft sind sie aber weiter weg gerückt.«Another ghost dance» ist als kollektives Erlebnis angelegt. Alle Doce-En-Diciembre-Teilnehmer*innen brachten auf der Grundlage von Interviews ihre persönlichen Anliegen und Aktionen in den Geistertanz ein. So belebte Gisela Hochuli mit einem Stab ein extra von ihr kreiertes Geister-Gewand, flocht Jazmín Saidman ihre ausgesuchte Musik zwischen die Anwesenden via Smartphone ein und erinnerte sich Paola Junqueira in einer kurzen intensiven Intervention an den Tod ihres Vaters, beziehungsweise an die in ihrem eigenen Empfinden inkorporierten Tränen. Chris Regn und Andrea Saemann verknüpften mit einem wunderbaren Song die Frage nach politischer Aktion mit queeren poetischen Texten. Hier eine Strophe aus dem Skript:
Wirklich wahr die Frau Holle Klar, klar mit der WolleUnterm Brunnen über WeltSchnee als Regen fälltSchüttel shuttle trans dance Schüttel shuttle trans dance
Dazu verdichtete, die schliesslich immer intensiver spielende Musikperformance Barbara Naegelins und der immer dichter wirbelnde Tanz der Doce-Teilnehmer*innen und des Publikums die Situation zu einem kollektiven Wirbel.
Verbindend für alle diese Aktionen ist ihr politisches Anliegen. Dieses lässt sich mit Maura Reilly, welche sich dabei wiederum auf die Aktivistin bell hooks bezieht, folgendermassen beschreiben: «(to) produce (a) work that opposes structures of domination, that presents possibilities for a transformed future by willingly interrogating our own work on aesthetic (or) (and) political grounds.» (Zitiert nach Maura Reilly Curatorial Activism, unpub. Paper 2019).Das Bild, welches die Künstler*innen uns in ihrer Performance\Art vermitteln, die Transformation der Machtstrukturen, besteht also in einer Umkehrform des scheinbar so Offensichtlichen und Eindeutigen. Dies ermöglicht ein Überkreuzen bestehender Muster des Wahrnehmens, des Empfindens und des politischen Handelns.