Heike Fiedler:Lattea
Heike Fiedler schreibt zur Performance «Lattea» von Anna Rigamonti, Rita Cotti Ambrosis und Yara Li Mennel am Sonntag, 12.02.2022 im städtischen Raum von Locarno.
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Matin, préparations-action
Locarno, la rotonde. Trois performeuses, trois échelles, tailles et formes différentes. Corps qui se font écho, échelles et performeuses dans leur combinaisons blanches.
(Bild)
Un enfant arrive, inattendu, sur la place immense, une petite fille, elle grimpe. Sur chacune des échelles. S’approprier l’objet, spielen, was sonst. Für uns das verlorene Paradis, aufgefangen im Akt der Performance, eine Überlegung allgemein. Les trois s’en vont, en attendant.
Le public arrive.
Quelque part,dans un des sous-passage, encore invisibles, les performeuses.
De l’autre côté de la place, le public attend. Rencontres joyeuses, chaleureuses au soleil. L’espace est immense et beau. Deux femmes se croisent par hasard, au centre, où se trouvent les échelles. Elles discutent, puis «che bella giornata», s’en vont dans des directions opposées. Une autre femme traverse la place avec son chien.
Les voilà ! Elles arrivent. J’entends le son des clochettes, je pense à l’Inde. Elles vont tout droit vers leur échelle, eine für jede. Das Publikum weiter ab davor, nebeneinander, frontal. Schreibend, jetzt Fragmente einfangen. Anna rennt. Yara legt sich auf ihre Leiter, Rita steht der ihren, ein weisses Gewand fällt herab, lichtdurchlässig, vielleicht Fliess. Die Leiter verschwindet, als stünde Rita auf Stelzen. Anna läuft vors Publikum. Ihre Laute, die Stimme. Währenddessen vollziehen Rita und Yara Bewegungen auf ihren Leitern. Dort die kleine, Anna, die deine, Stimme, jetzt hält sie die Leiter in der Hand. «Cavigliano», «bam bam», weiss ist Yaras Perücke, langes, wollenes Haar, dicht auch über das Gesicht. So verdeckt, darunter hervor, die Laute einer Mundharmonika. Annas Schritte laufen den Raum ab, die Leiter klein, allein, das Gewand. Rita hält einen langen, dünnen Schlauch, transparent. Annas Stimme «piu piu», dabei zieht sie ihre kleine Leiter durch die Kieselsteine auf dem Platz, trägt sie dann, geht weiter, von rechts fährt ein Fahrradfahrer daher. Annas Laute «klack klack klack klack» «non ho ancora mangiato». Rita wirft den Schlauch nach unten. Das Gewand fällt herab, die Leitern verschoben, wie weggetragen. Die Handlung löst sich auf. Das Handy gibt den Laut zum Weiter, wir gehen durch die Unterführung, den Performerinnen hinterher, vierzig Personen ungefähr.
Teil zwei, der Platz gegenüber der Schlossruine. PalaCinema Locarno. Das Haus, bordeaurot der Gummibodenbelag. Die Leitern, Wiederholung. «Animali» sagst du, hüpfst auf der Stelle, «la responsabilità è di tutti», ein kleiner Küchentrichter am Schlauchende, wie eben. Am anderen eine kleine Käsemühle*, denk ich, auch so wie eben, wie ein Trichter gehalten, Ohrmuscheln in die Welt gehalten. «Andromède» sagt Rita auf ihrer Leiter, vorne rechts von mir Mundharmonikalaute. «Uccello del paradiso», «colomba», Namen wie aus der Ferne. Wer sagt was, deine kleine Leiter, das Handy wieder in der Mitte. Yara, liegt auf der Leiter, ihre Arme und Beine langsam bewegend nach oben. Die Laute der Schellen, der Muscheln, «sicurezza di tutti», wieder löst sich die Handlung auf, das Gewand in den Rucksack, das Handy. An der Mauer oben halten einige Leute an, schauen zu. «Prossima fermata - Piazza grande», sagt Natalie, wir folgen.
Hier der Boden aus Steinen, Unebenheiten, die Leitern aufgestellt, dritte Station. Wiederholung der Gesten. Rita steht auf der Leiter. Das Gewand fällt herab. Anna aktiviert das Handy. Währenddessen steht Yara zwischen den Sprossen, «come trovare», Anna jetzt sitzend auf ihrer Leiter. Verdichtung der Sätze, linear, von Lauten zu Worten, «vostra passione», von links «inferno» «una storia cosmica», da: Yaras Leitertanz, son corps de travers, die Mundharmonika. Anna erzählt, narrativ - ringsherum das Publikum. Die Glocken läuten, elf Uhr, die Handlung löst sich auf. Das Gewand in den Rucksack. Annas Schritte laufen den Raum ab, markiert von den drei Leitern. Yaras wollenes Haar, es hat sich in der Leiter verfangen, schnell befreit, das Handy tönt, Applaus. «Prima presentazione in pubblico dell’associazione culturale carovana091».
Après-midi
Piazza San Francesco, das Publikum kommt langsam zusammen. Da stehen die Leitern im Dreieck, der Handyhalter, winzig in der Mitte.
Die Glocken der Kirche. «La mezza», sagt eine Frau neben mir. Diesmal suspense, von woher werdet ihr kommen? Das Publikum steht in kleinen Gruppen. Von Zeit zu Zeit löst sich jemand heraus, geht zu einer anderen: Treffen, Bekanntschaft, «ciao». Nicht mehr frontal, wie heute morgen, es ist wohl raumbedingt. Auf dem Boden der Schatten der zwei Bäume rechts, links die Kirche.
Da kommt ihr.
Die Schellen. Jede geht zu ihrer Leiter, Anna hält das Handy gegen den Himmel, stellt den Timer ein. Das Gewand aus dem Rucksack weht im Wind, davon mehr als heute morgen. Yara liegt auf der Leiter, horizontal, die Perücke mit den langen Haaren, ganz rund herum um den Kopf. Wo ist hinten, wo vorne? Irritierend die Bewegungen, wie eine Marionette, der du den Kopf verdrehst, die Laute der Mundharmonika. Anna springt auf der Stelle, ruft Worte, joggt um die Leitern herum. Die Stimme, den Filter ans Ohr, wie aus der Ferne «Andromède», «klack klack», transparent der dünne Schlauch. «Cassiopea», «Cavigliano», der Stoff, das Gewand, im Wind, «non ho ancora mangiato». Wieder dein Hüpfen auf der Stelle, simultan eure Stimmen, «Orione», dort die Leiter, die kleine. «Una donna mi guarda», «scorpione», das Ende des Schlauchs fällt auf den Boden, die Stimmen, da läutet das Handy, das Zeichen, die Handlung löst sich auf. Yara läuft zwischen den Sprossen, der Schlauch wird aufgewickelt, Annas Hand weist die Richtung an, wir folgen.
Zum Piazza San Antonio.
Diesmal mehr junge Eltern mit Kindern, massima protezione in questa area, an der Skulptur vorbei, notre procession urbaine, wie urbane Spiritualität. Hin zum Platz, die Kirche Divo Antonio Abbati. Ihr davor, «severamente vietato», «i bambini sotto dieci anni devono essere accompagnati da una persona adulta responsabile». Einige PassantInnen laufen vorbei. Ritas Gewand, diesmal kein Wind, Anna hält das andere Ende vom Schlauch. Verbindung, dort Yaras langsames Tanzen, auf der Leiter liegend. Die Laute der Schellen, wie tropfenweise die Mundharmonika, Anna läuft, stellt sich auf ihre Leiter die kleine, ein junger Vater trägt den Kinderwagen an uns vorbei, darin ein Baby, gerade noch wie neugeboren. «Cassiapea» «...è obbligatorio», da tönt schon der Laut vom Handy. Das Aufrollen des weissen Gewandes, das Tragen der Leitern. Rückwärts laufend, vorwärts, wir folgend, nach vorne, im Kreis herum um das Denkmal von wem wer weiss, rechts und links die Löwen.
Ein paar Schritte weiter nur, du stellst dich auf die Leiter, das Gewand, weiss, trama. Yara diesmal von unten nach oben, an den Sprossen hängend, Anna sitzend auf der Leiter. Ihre Worte, die Mundharmonika, «nostro sangue», kaum durchdringen deine Sätze die Reihen vor mir, Publikum, Passage, die Glocken. Es läutet drei Uhr, dann das Handy, Ende, nein weiter, Anna geht mit ihren schnellen Schritten herum, den Raum abmessend, das Gewand - in den Sack, Yara läuft zwischen den Sprossen, ihre Leiter tragend, fini, Applaus, herzig das Ende, begeistert das Publikum
*Petersilienkräutermühle, lass ich mich später korrigieren.
Lattea, eine Produktion von d carovana091, kuratiert von Natalie Peters«Evento di Performance Art (arte contemporanea). Tre artiste locarnesi si esibiranno in uno spettacolo performativo ispirato alla dimensione del sogno e dell'inconscio. Come sentirsi collegati all'universo pur rimanendo ancorati alla terra? Come vivere la propria individualità e allo stesso tempo collaborare per creare un ambiente armonioso? Attraverso il linguaggio dell'improvvisazione teatrale e l'utilizzo di immagini che si ispirano all'inconscio collettivo, le tre artiste si esibiranno in un'esperienza autentica nel tentativo di lavorare su queste domande fondamentali.»