Ich schreibe heute, 13. November 2018 im Flugzeug an diesem Text weiter. Ihm liegen Notizen zugrunde, die ich während der Performance von Monika Günther und Ruedi Schill damals in Flensburg/Agustenborg 2015 gemacht hatte. Kurz danach hatte ich diesen Text entworfen und dann lange liegen gelassen. Erst kürzlich hat er sich mir in die Hände gespielt und habe ich ihn überarbeitet und Monika Günther und Ruedi Schill geschickt.
Monika und Ruedi oder Ruedi und Monika
Sie stehen wach und bereit.
Heute, im November 2018, frage ich mich: Befanden sie sich mit uns auf einem sehr breiten Treppenabsatz im ausladenden Treppenhaus des historischen Gebäudes, in dem die Performances an diesem Tag stattfanden?
Sie warten dass es ruhig wird. Eine Musik-Box steht zwischen ihnen am Boden. Ruedi stellt die Musik an. Es denkt bei mir: Mininalmusik, wessen Musik ist das? Und sie erinnert an Steve Reich’s Musik und könnte auch eine Komposition zeitgenössischer Machart sein. Die Klänge überschlagen sich, und die Wiederholung verwischt das Wiederholte des Wiederholten.
Zu wem soll ich schauen, zu Ruedi oder Monika, zu beiden gleichzeitig, mal da, mal daneben? Wenn ich versuche mich zu entscheiden, habe ich schon etwas verpasst, entgehen mir im gleichen Moment Feinheiten ihrer Haltung und ihrer Gesten. Monika’s Mund ist in Spannung, wie wenn sie etwas zu sich selber sagen würde. Ruedi steht da, den Rücken etwas schief. Monika hält eine kleine weisse Kapsel in ihrer Hand. Sie rollt ein dünnes Papier davon ab, die Kapsel ist ein Leimstift, das Papier ist so breit wie der Leimstift lang, Monika klebt sich das Papier auf ihre Stirn und legt den Leimstift auf den Boden.
Somit wäre das Grundmaterial schnell aufgezählt. Aber die Handlung, das was sich vor uns auffaltet, könnte endlos aus der Erinnerung wieder und wieder ausgeführt, aufgezählt und nacherzählt werden.
Atem bewegt Papier. Man sieht ihn, den Atem, bei Monika, während Ruedi gefaltetes Papier aus seiner schwarzen Fliegerhosen-Seitentasche herauszieht. Beide sind schwarz gekleidet. Die Farb-Nuancen des Schwarz ihrer Kleidung spielen keine wesentliche Rolle, aber entsprechen der Empfindung monochromer Malerei. Sowohl die Lichtwürfe auf ihre Kleidung und ihre inneren Regungen, die ich vermeine wahrzunehmen, führen Regie. Sie nehmen sich manchmal wie ein kleines Erdbeben aus, obwohl nichts abrupt geschieht.
Ruedi’s Papierbogen haben eine eigene unnachgiebige Spannung, ganz im Gegensatz zu Monikas ‚Fliegenpapier’ vor ihrer Nase. Das Faltmuster von Ruedi’s Bogen ist sichtbar und erinnert an einen Schildkrötenpanzer. Ruedi faltet auf, bewegt leicht und lässt nach einer Weile den Bogen fallen. Mehr, als dass der Bogen leblos am Boden liegt gibt es ganz genau hierzu an dieser Stelle nicht zu sagen. Oder wäre das so zu benennen: Hier da sind wir, ihr könnt uns anschauen oder nicht, aber wir sind da, und ihr seht uns doch, wir sind so wie wir sind. Performance ist Statement, ist existenziell?
Zeitlos zerbrechlich wirken die beiden und doch entschlossen. Auch wenn ihre alternden Körper fragiler und kantiger wirken, Wille und Entschlossenheit fahren umsomehr vor unseren Augen, in unserer Gegenwart unnachgiebig auf. Da sind wir, ich atme, atme und ich falte auf und zerknülle Papier.
Die leichte Atembrise unter dem federleichten Papier von Monika tut ebenso gut, wie der Luftzug im alten und dicken Gemäuer dieses Hauses, den Hitzewellen draussen widersteht. Ja es ist ein heisser Sommer.
Ich getraue mich fast nicht zu bewegen. Ist es, weil die um mich herum gebannt schauen, weil das da vorne so unwiderstehlich ist? Das Papier von Ruedi wird zum in die Luft gehaltenen Stab. Er zieht mehrere Bogen aus den Hosentaschen und faltet sie in unregelmässigem Rhyhtmus nacheinander auf, das Papier ist Dirigent, Ruedi der Ausführende. Jetzt spricht Monika unter dem Papier in sich hinein; Fata-Morgana — meine ich nur, sie würde die Lippen bewegen, sie bewegt sie gar nicht, und doch bewegt sie sie? Ihre Arme sind äusserst angespannt, die Hände leicht nach oben abgeknickt, sie ein Vogel, der zum Abheben bereit ist, aber dableibt. Ruedi schwenkt das Papier.
They are making a living: warum habe ich das geschrieben? Haben Ruedi oder Monika das gesagt? Oder habe ich das geschrieben, oder sie haben es gesagt und ich habe es auch gedacht. Denn es gibt jetzt gerade nichts Anderes, als das was sie tun. Und das ist Lebensunterhalt auf einer anderen Ebene als der monetären. Sie nehmen sich diese, ihre unsere Zeit und verändern damit momentan diesen Raum hier, in dem wir hier versammelt sind.
Ruedi zieht immer wieder Papierbögen hervor. Wieviele hat er noch in den Hosen-Seiten-Taschen? Er könnte wahrscheinlich noch lange, unerschöpflich wäre die Quelle, auch Monika könnte noch lange. Ihre Zunge berührt das Papier und netzt es, so wie der Mund bei zu beatmenden Mensch benetzt werden muss, benetzt sie das Papier, es bleibt an der Zunge kleben, ein wenig wird es in den Mund gesaugt und segelt dann wieder in seine durchsichtige Falllinie vor ihrem Mund-Gesicht.
Das Papier von Ruedi knistert. Seine Geräusche hören sich so an, wie wenn man in die Aschenglut eines Feuers schaut. Vergänglichkeit. Der Tod ist weiss und kristallin und knistert wie ein Feuer. Den Atem vor der Nase haben. Er ist Präpo-Dis-Position und wesentlich. Der Papierstreifen von Monika könnte auch ein Teststreifen sein, der beweist, dass da (immer noch und wieder und wieder) Atem ist. Unwiderstehlich
Das Musik-Stück hört auf, es hat die Länge der Performance komponiert und bestimmt. Obwohl der Sound aus dem Zwischenraum der beiden kommt, hat er sie nicht entzweit, aber auch nicht vereint. Seine Wiederholungen sind Platzhalter. Sie halten den Abstand von ihr zu ihm, wie zwei Magnete die sich gleichzeitig anziehen und abstossen. Da ist ein starkes Feld … auch in der Erinnerung, im November 2018.
Brise°3
Performance Art Festival 3.-5.7.2015
Flensburg, Agustenborg
kuratiert von Elke Mark
mit den Künstler_innen: Monika Günther & Ruedi Schill, System HM2T Helge Meyer & Marco Teubner, Evamaria Schaller & Alice de Visscher, Burmester + Feigl, Dorothea Rust & Bernadett Settele, Kommissar Hjuler & Mama Bär, kolberg + stern, William Costa & Jasmin Schaitl, Monica Klingler, Volkmar Sippel, sowie PAErsche: Boris Nieslony, Petra Deus, Karin Meiner, Elke Mark
© Dorothea Rust, November 2018